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„Bedrängt, aber nicht am Boden“

Die Vereinigung der westafrikanischen Kirchenräte veranstaltete in Lomé zum ersten Mal eine Konferenz, die sich mit der Wirkung von Migration und Flucht auf Entwicklung und Handel in Westafrika beschäftigt.

Von Francisco Marí am

Kirchenkonferenz zu Entwicklung, Handel und Migration in Lomé

Die Vereinigung der westafrikanischen Kirchenräte (FECCIWA) veranstaltete erstmalig im Februar 2017  eine regionale Konferenz in Lomé/Togo, um die Wirkungen der Migrations- und Fluchtbewegungen in Westafrika auf Entwicklung und Handel in der Region zu erörtern. 70 Delegierte der Kirchenräte aus den 13 Mitgliedsländern, Politiker und ExpertInnen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft diskutierten die Details von Einflüssen dieser Politiken auf die Lebensverhältnisse in Westafrika. Dabei stand neben der politischen Verantwortung der Westafrikanischen Union auch der zunehmende Einfluss der EU Migrations- Entwicklungs- und Handelspolitik im Vordergrund der Analysen.

Der Satz aus der Bibel im 2. Korintherbrief „Verstört, aber nicht am Boden“ , Leitthema der Kirchenkonferenz in Lomé scheint nicht nur auf die Situation in Westafrika, sondern auf die globale Stimmung zu zielen. Tatsächlich betonten beim Eröffnungsgottesdienst viele SprecherInnen, dass Afrika sich nicht aus der allgemeinen Unsicherheit in den internationalen Beziehungen heraushalten kann. Die aktuell  proklamierten „Lösungsansätze“ gegen MigrantInnen aus Europa und den USA werden in den afrikanischen Debatten über den Umgang mit den vielfältigen Flucht- und Migrationsbewegungen in Afrika wahrgenommen. Der  Versuch in Industriestaaten, Migration und Terrorismus in einen Zusammenhang zu stellen oder Flüchtlinge als potentielle Attentäter zu diffamieren übt ungeheuren Druck in der Region aus, besonders dort, wo der Terror, wie in Nigeria durch Boko Haram, Tausenden Menschen in den letzten Jahren das Leben nahm. In der feierlichen Eröffnungszeremonie wurde das Thema der Konferenz aufgegriffen. Rev. Dr. Fred Degbe ehemaliger Generalsekretär des Ghanaischen Kirchenrates oder auch Elisabeth Zimba Kisigha vom Ostafrikanischen Rat der Kirchen (FECCLAHA) beschrieben Migration und freie Bewegung in Afrika als seit Jahrhunderten bestehenden Teil des Alltags in afrikanischen Gesellschaften. Auch wenn  Integration und Hilfe für Brüder und Schwestern nicht einfach wäre,  ist die Aufnahme von Menschen selten ein Grund für Dauerkonflikte.

Umso kritischer wird der permanente   Druck der Europäischen Union auf die afrikanischen Regierungen empfunden. In den Fokus nahmen die Redner vor allem  das Aufrüsten  und die vorgebrachten Forderung an afrikanische Staaten, mit scharfen Antimigrationsgesetzen zur EU-Sicherheitspolizei zu werden. Der Vorwurf lautet, dass dieses Vorgehen bewusst die Menschen kriminalisiert, die die bisher außerhalb der Hauptrouten kaum beachteten Grenzen  überqueren. Ziel der EU ist es, dass die wenigen,  die  das Wagnis der Flucht nach Europa eingehen, das Mittelmeer nie erreichen. Im von Sophia Wirsching, Migrationsreferentin bei Brot für die Welt, verlesenen Gruß des Leiters der Afrikaabteilung, Reinhard Palm, wurden diese Sorgen aufgegriffen und klar gegen eine solche MigrantInnen ausgrenzende Politik Stellung bezogen.

Mehr über den Austausch auch mit aktuellen oder ehemaligen Flüchtlingen und MigrationsexpertInnen, die auf der Konferenz anwesend waren, in einem Blogbeitrag von Sophia Wirsching.

Perspektivlosigkeit und Armut

Die Zusammenhänge, die der Titel der Konferenz „Entwicklung, Handel und Migration“ darstellt, erschließen sich nicht auf den ersten Blick.

Der intensive Austausch über Migration und Flucht in der Region zu Beginn der Konferenz belegten aber, dass wirtschaftliche und politische Verwerfungen, von denen Afrika immer wieder heimgesucht wird, mit ein Hauptgrund für Migrationsbewegungen nicht nur innerhalb Westafrikas sind.

Klar wurde auch, dass es immer weniger Regionen oder Orte in Westafrika gibt, die MigrantInnen aus armen Gegenden, eine bessere Zukunft bieten, als in ihren Heimatorten. Vor allem junge Menschen sind verzweifelt, weil auch eine gute Ausbildung ihnen keine Perspektiven auf eine den Lebensunterhalt deckende Beschäftigung gibt, geschweige denn ermöglicht, eine Familie zu gründen oder gar zu ernähren. Diese wirtschaftliche Perspektivlosigkeit  und auch Konflikte, wie der aktuelle islamistische Terror in Nigeria und den Nachbarländern lassen Menschen überlegen, ob sich nicht durch den Wegzug nach Europa ihre Situation und die ihrer Familien verbessern könnten.

Die KirchenvertreterInnen sehen daher eine starke Verantwortung von Kirchen, sich zum einen dafür einzusetzen, dass die Menschenrechte von MigrantInnen und Flüchtlinge beachtet werden.  Zum anderen sind sie in der Verantwortung, ihre Regierungen vor einer Komplizenschaft mit der EU zu warnen und Lösungen für die Schwierigkeiten in  Landwirtschaft, Fischerei, Industrie und Handel anzumahnen, die als „Fluchtursachen“ bezeichnetet werden und sich negativ  auf  die Lebensverhältnisse der Bevölkerung Westafrikas auswirken.

Folglich standen im Konferenzteil zu  den Handelsbeziehungen Westafrikas  die Rahmenbeziehungen für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Wirtschaftsunion im Fokus. Da die EU nach wie vor der Handelspartner Nummer Eins Westafrikas ist, wurden vor allem die Wirkungen der Handelspolitik mit Europa diskutiert. Die Delegierten brachten eindrucksvolle Beispiele für wirtschaftliche Einflüsse, die verhinderten, dass in Westafrika Landwirtschaft und Industrie Arbeitsplätze schaffen, die Jugendlichen Perspektive bieten.

Kirchenkampagne für Ernährungssicherheit

FECCIWA hat in den letzten acht Jahren eine von Brot für die Welt geförderte Kampagne unter dem Titel „Lasst uns anbauen, was wir essen und essen, was wir anbauen“ geführt. FECCIWA hat versucht bei regionalen PolitikerInnen und auf internationalen Foren, genauso wie in Kirchengemeinden dafür zu werben, dass die landwirtschaftliche Produktion, die immer noch die meisten Arbeitsplätze in Westafrika schafft, stärker gefördert wird. Daher müssten sie auch vor negativem Einfluss durch Billigimporte geschützt werden, so die immer wieder erhobene Forderung.  Konkret standen nachhaltige Anbaumethoden, das Recht auf Nahrung und die Wertschätzung der Vielfalt von Nahrung in der Region in den letzten Jahren im Mittelpunkt der politischen Arbeit von FECCIWA. Dabei  nahmen die Kirchen wahr,  dass die  Regierungen Westafrikas  Landwirtschaft und lokale Nahrungsproduktion wieder als wichtige Politikfelder erkannten und dabei auch Unterstützung von internationalen Gebern erhielten. So ist die kleinbäuerliche Produktion in Westafrika immer noch bei weitem die Hauptquelle für den Nahrungsmittelkonsum - fast 75 Prozent des durchschnittlichen täglichen Kalorienbedarfs der WestafrikanerInnen wird durch lokal angebaute Produkte gedeckt.

Leider werden in einigen Sektoren aber Erfolge wieder zunichte gemacht, oder ärmere Staaten haben keine Chance, neue landwirtschaftliche Bereiche zu stärken, so der Bericht an die Konferenz des scheidenden Generalsekretärs, Rev. Tolbert Jallah. Den  Grund sehen die Kirchen in Billignahrungsmitteln aus Asien (Reis), USA und Brasilien (Fertigprodukte und Fleisch) oder aus der Europäischen Union (Fleisch, Fertigprodukte, Milch und Getreide), die die lokalen Märkte seit Jahren überfluten. Landraub durch Investoren für Agrotreibstoffe und Plünderung der Fischgründe durch ausländische Fangboote trügen ebenso zur Reduzierung der Nahrungsvielfalt in der Region bei.

FECCIWA sieht diese Entwicklung schon seit Jahren mit Besorgnis und hat sich auch der Analyse der Handelsbeziehungen Westafrikas zugewendet.  Vor allem werden die negativen Folgen  der von der Welthandelskonferenz (WTO) vorgegebenen Regelungen oder bilaterale Vereinbarungen mit den USA und der EU oder weniger bekannte Vereinbarungen mit der VR China kritisiert.

Das Scheitern der EU Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs)

Hier kommen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen der EU und Afrika - nach der englischen Abkürzung besser als EPAs bekannt - ins Spiel. Aufgrund der Bedeutung der EU als Handelspartner und der Tatsache, dass nur die EU von den afrikanischen Staaten eine Marktöffnung für ihre Waren fordert, wenn Afrika weiter zollfrei Waren exportieren will, wurde in Lomé vornehmlich über den Stand der Verhandlungen und die möglichen Wirkungen dieser Abkommen debattiert. Peter Lunenborg vom South Centre in Genf stellte eine von Brot für die Welt  in Auftrag gegebene Studie zu den prognostizierten Wirkungen des regionalen EPAs mit Westafrika  vor, auch wenn es bisher nicht in Kraft getreten ist. Genauer gingen Referenten und TeilnehmerInnen auf die Wirkungen der EU Abkommen ein, die seit Oktober 2016  in Ghana und Cote d’Ivoire gültig sind (siehe Blogbeitrag) und neben anderen negativen Wirkungen  die Integration und den regionalen Handel in Westafrika massiv stören werden. Das wird durch einen 20 Jahre dauernden kontinuierlichen vollständigen Zollabbau für Industrieprodukte,  Investitionen und damit dringend gebrauchte neue Arbeitsplätze verhindern.

Damit ist leider wieder der Zusammenhang zum Thema Migration hergestellt. Wenn die EU will, dass sich weniger Menschen überlegen, in Europa ihre Zukunft zu suchen, dann muss sie eine Zukunft für junge Menschen in Landwirtschaft und Industrie fördern. Militär und Grenzsicherung zu finanzieren, ist keine Lösung und schürt neue Perspektivlosigkeit, darin waren sich in der hitzigen Debatte der Konferenz fast alle Teilnehmenden einig.

Reverend Tolbert Jallah stellte unmissverständlich klar, dass die die EU die Zwischenabkommen mit Ghana und Cote d’Ivoire  durch die Strafzollandrohung für deren Exporte erpresst habe. Die EU setze damit die wirtschaftliche Zukunft und Integration in der Wirtschaftsunion durch mögliche Handelskonflikte aufs Spiel. Diese werden auch in den Nachbarstaaten dieser beiden Länder Zukunftsausschichten in Land und Stadt nicht nur für Jugendliche verbauen.

Warum die EU diesen Zusammenhang nicht erkennt, fragten in der Konferenzdiskussion viele der kirchlichen VertreterInnen die europäischen Gäste. Eine Antwort konnten wir nicht wirklich geben, außer der Empfindung, dass zumindest in Deutschland einige politische Entscheider zumindest auf dem Papier die Fehler der EU-Handelspolitik erkennen (siehe die Kapitel 2.2. und 3 im „Marshallplan mit Afrika“ des Entwicklungsministeriums und eine erste Einschätzung).

EU Billigexporte schon ohne EPAs schädlich – Handelsschutz aktiv nutzen

Brot für die Welt machte aber auch deutlich, dass die von den Delegierten eingebrachten Bespiele von Verwerfungen auf landwirtschaftlichen Märkten durch EU-Exporte von Hähnchenteilen, Tomatendosen, Zwiebeln, Weizen oder Milchpulver (noch) nicht die Folge der EPAs sind – denn diese sind ja gar nicht oder in Ghana und Cote d’Ivoire  erst seit kurzem in Kraft. Neben einer verfehlen EU Agrarpolitik sind die Störungen dieser Sektoren auch Folge von Entscheidungen der westafrikanischen Regierungen, diese Landwirtschaftssektoren nicht zu schützen, um VerbaucherInnen vermeintlich billige Nahrungsangebote aus der EU anzubieten. Manche Länder, besonders Nigeria zeigen, dass man z.B. mit Importverboten oder hohen Zöllen lokale Märkte schützen kann. Schwieriger wird es, wenn die Produkte schon lange die lokalen Angebote haben verschwinden lassen, so wie EU Weizen zum „täglichen Brot“ Afrikas geworden ist.

Aber letztendlich zeigen die nicht WTO konformen Importverbote, dass auch andere Instrumente wie Mengenbeschränkungen oder Zollquoten, wenn von Regierungen angewendet,  von der EU nicht gleich bei der WTO vor ein Schiedsgericht gebracht werden.  Brot für die Welt  sprach den Delegierten Mut zu, denn auch die Kirchen in ganz Afrika haben zum Scheitern der EPAs beigetragen. Nun sollten sie ihre Regierungen auffordern den Freiraum ohne EPAs zu nutzen und aktiv zu werden für eine intelligente verbraucher- und produzentenorientierte Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, die Mangelernährung reduziert, Nahrungsvielfalt fördert und Arbeitsplätze in Landwirtschaft und verarbeitender Agrarproduktion schafft.

Für faire Handelsbeziehungen mit der EU - EPA Verhandlungen und Implementierung einfrieren!

Die Delegierten der 13 Landeskirchenräte von FECCIWA fordern in der Abschlusserklärung ihrer an die Konferenz anschließenden Generalversammlung, dass die Implementierung der EPA Übergangsabkommen von Ghana und Cote d’Ivoire eingefroren werden, damit sie weiter gemeinsam mit ihren Nachbarn die regionale Wirtschaftszone (ECOWAS) vertiefen können, den Binnenhandel stärken können und damit Arbeitsplätze und Einkommen und gute Investitionsmöglichkeiten schaffen. Die Regierungen von Nigeria und Gambia werden aufgefordert bei ihrem Nein zur Unterzeichnung zu bleiben, damit das ganze EPA Projekt mit der EU scheitert und nicht alle Länder der Region in eine riskante fremdbestimmte wirtschaftliche Zukunft geraten.

Die Erklärung endet mit dem Aufruf an alle Regierungen Westafrikas, auf die Europäische Union zuzugehen und neue Handelsbeziehungen zu entwickeln, die auf den Prinzipien der Fairness aufbauen. Die EU solle  die Ergebnisse zukünftiger Wirkungsanalysen ihres  Handels mit Afrika  auf Menschenrechte, Umwelt, Kleinindustrien und kleinbäuerliche Produktion aufgreifen. Das wäre eine der Voraussetzungen um den Nexus Handel, Migration und Entwicklung in ein entwicklungsqualifiziertes Gleichgewicht zu bringen von dem die Menschen in Europa aber auch in Westafrika enorm profitieren könnten.

 

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