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Migrationskontrolle und Fluchtbewegungen: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Bericht über die Tagung „Aus den Augen, aus dem Sinn. Auslagerung und Regionalisierung von Migrationskontrolle und Fluchtbewegungen.“ am 23. Februar 2016 in Berlin.

 

Von Nils Utermöhlen am

Bericht über die Tagung „Aus den Augen, aus dem Sinn. Auslagerung und Regionalisierung von Migrationskontrolle und Fluchtbewegungen.“ am 23. Februar 2016 in Berlin.

Aus den Augen, aus dem Sinn: Dies ist das Leitmotiv der Europäischen Union bei der Gestaltung ihrer Migrations- und Flüchtlingspolitik. Flüchtlinge und MigrantInnen sollen möglichst bereits weit vor den europäischen Außengrenzen aufgehalten werden.

Systematisch spannt die EU Transit- und Herkunftsländer in ihre Migrationspolitik ein. Dabei scheut sie auch nicht eine Kooperation mit Ländern wie beispielsweise Eritrea oder Sudan, die aufgrund einer eklatanten Menschrechtssituation selber für die Flucht vieler Menschen verantwortlich sind.

Auf einer von Brot für die Welt gemeinsam mit medico international, dem Netzwerk Flüchtlingsforschung und Pro Asyl am 23. Februar 2016 in Berlin organisierten Fachtagung wurde über die Auswirkungen dieser Prozesse einer Externalisierung und Regionalisierung der Migrations- und Flüchtlingspolitik diskutiert.

Auf drei Podien sprachen VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland, Türkei, Mauretanien und Uganda darüber, wie die von Europa initiierten Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen weiter verschärfen und auch, welche Auswirkungen diese Politik auf die sozialen und ökonomischen Verhältnisse in den jeweiligen Ländern haben.

I. Die Einbindung west- und nordafrikanischer Staaten in die europäische Migrationspolitik – Rabat Prozess (Mali, Mauretanien, Niger, Marokko)

Das erste Podium der Tagung widmete sich dem im Jahr 2006 von Europa initiierten Rabat Prozess, der eine Einbindung west- und nordafrikanischer Staaten in die europäische Migrationspolitik vorsieht. Amadou M’Bow von der Association Mauritanienne des Droits de l'Homme (AMDH, Mauretanische Vereinigung für Menschenrechte) zeichnete in seinem einführenden Beitrag detailliert nach, wie die Verhandlungen damals mit Mauretanien geführt wurden. Die im Rahmen des Prozesses verhandelten Abkommen wurden regelrecht diktiert, von einem „euro-afrikanischen Dialog“ könne keine Rede sein. Für die Gesellschaft Mauretaniens hat der Rabat Prozess weitreichende Folgen. Seit Jahrhunderten waren Mobilität und Formen temporärer Migration eine Normalität in der Region. Nach der Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht Ende der 50er Jahre war Mauretanien auf Arbeitskräfte aus den Nachbarländern angewiesen. Infrastrukturprojekte, Fischverarbeitung und Erzabbau schufen eine Nachfrage nach ArbeitsmigrantInnen, die zu der Zeit hauptsächlich aus Mali und Senegal kamen. MigrantInnen waren in die Gesellschaft integriert und willkommen. Auch in den Verträgen der Economic Community of West African States (ECOWAS) ist heute die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger festgeschrieben.[i] Die Konferenz von Rabat nahm auf all das keine Rücksicht: Staatsgrenzen sowie deren Sicherung gewannen an Bedeutung und eine zuvor weitgehend offene Gesellschaft verschloss sich zunehmend gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben in Mauretanien spürbar zugenommen.[ii]

In den anschließenden Beiträgen wurde jedoch auch deutlich, dass sich Staaten nicht ohne weiteres einbinden lassen in die europäische Migrationskontrolle. Am Beispiel Malis zeigte der Migrationsforscher Dr. Stephan Dünnwald vom Bayrischen Flüchtlingsrat, dass sich der Staat im Gegensatz zum militärisch regierten Mauretanien deutlich weniger kooperativ in den Verhandlungen verhalten habe, was ganz unterschiedliche Gründe habe. Zum einen unterliege die politische Macht einer stärkeren sozialen Kontrolle. Regierende müssen eine Einschränkung der Mobilität vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen. Anders als in Mauretanien, richteten sich die geplanten Maßnahmen in Mali eben nicht nur gegen MigrantInnen aus den Nachbarländern, sondern hätten auch für die eigene Bevölkerung deutliche Einschränkungen zur Folge gehabt. Der Kreis derjenigen die die EU für ihre Projekte gewinnen musste, erstreckte sich nicht auf eine kleine Elite sondern umfasste weit mehr Akteure. Die bisher umgesetzten Projekte in Mali haben jedoch nicht das bewirkt, was sich die EU erhofft habe. Die Grenzen sind noch weitgehend offen, berichtete Stephan Dünnwald. Die Mehrzahl der MigrantInnen habe jedoch überhaupt nicht vor nach Europa weiterzureisen, eine Einschätzung die im Laufe des Tages auch für andere Regionen wiederholt bestätigt wurde.  

Auch in Bezug auf Marokko seien die Pläne der EU bislang nur teilweise umgesetzt worden. Der Versuch, Entwicklungshilfe als politischen Hebel einzusetzen, um Marokko zu Kooperationen in der Migrationskontrolle zu bewegen, sei bisher nicht aufgegangen. Eine Delegation der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist seit Mitte 2015 vor Ort, um die Behörden bei der Implementierung einer neuen Migrations- und Asylpolitik zu unterstützen – bislang konnten die MitarbeiterInnen jedoch ihre Arbeit nicht wie geplant aufnehmen, weil die marokkanischen Behörden nicht kooperieren wollen. „Marokko ist nicht erpressbar“, so Hannes Stegemann von caritas international.  „Marokko will eine Klärung der Westsahara-Frage durch Europa. Wer glaubt, es sei etwas zu erreichen mit der Drohung, Entwicklungshilfegelder zu streichen, überschätzt die eigene Bedeutung.“

Europa setzt längst nicht mehr nur auf staatliche Strukturen, um auf Migrationsbewegungen Einfluss zu nehmen, wie Amadou M’Bow berichtete. Auch Medien und Zivilgesellschaft würden zunehmend in den Fokus geraten, wenn es darum geht potentielle MigrantInnen in den Herkunftsländern zu halten. So gibt es Medienkampagnen, die tatsächliche oder auch vermeintliche Gefahren und Nachteile der Migration herausstellen, um Migrationswillige zum Bleiben zu animieren. Auch Ausschreibungen der EU für Projekte, die die Bevölkerung für die Gefahren der Migration sensibilisieren sollen, werden durch die Gründung unzähliger NGOs beantwortet, die diese Mittel dann in teilweise fragwürdigen Projekten umsetzen. Eine regelrechte „Migrationsindustrie“ ist so entstanden, die jedoch keinen wirklichen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen leistet.

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II. Pakt mit Despoten auf Kosten der Flüchtlinge – Khartoum Prozess. (Ägypten, Ostafrika, Eritrea)

Der Khartoum Prozess, der sich auf die Länder am Horn von Afrika erstreckt, war Gegenstand des zweiten Panel des Tages. Im Jahr 2014 initiiert, herrscht heute noch viel Unklarheit darüber, welche konkreten Maßnahmen und Projekte umgesetzt werden sollen und wie weit die Kooperation mit den zum Teil höchst repressiven Regimen in der Region reichen. Der gesamte Prozess ist geprägt von einem hohen Maß an Intransparenz, so die Moderatorin Marina Peter von Brot für die Welt. Eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Verhandlungen findet nicht statt. Nur nach und nach sickert durch, welche Art von Projekten konkret geplant ist. So gibt es beispielsweise Überlegungen, Beamte im Sudan und Südsudan im Migrations- und Grenzmanagement zu schulen sowie die Polizeiausbildung in Eritrea und Ägypten fachlich und finanziell zu unterstützen. Im Niger werden schon heute mit Hilfe der International Organization for Migration (IOM) in mehreren Zentren Programme umgesetzt, die auf Repatriierung von Flüchtlingen abzielen. Angeline Nkwenkam Ngedjeu von der Interchurch Organization for Development Cooperation (ICCO) aus Uganda, die seit vielen Jahren die Situation von Flüchtlingen aus Eritrea verfolgt, fragte angesichts der katastrophalen Menschenrechtssituation in Eritrea, wie man sich eine Repatriierung in dieses Land vorstellen soll. Von den ungefähr 6 Millionen EinwohnerInnen verlassen monatlich rund 5.000 das Land, um v.a. in den Nachbarländern Schutz zu finden, die zum Teil selber von Kriegen und Krisen geprägt sind und Flüchtlingen kaum Perspektiven bieten können. Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wies darauf hin, dass von den ca. 6 Millionen Flüchtlingen am Horn von Afrika nur ein sehr geringer Teil sich überhaupt auf den Weg nach Europa macht. Der Großteil der Flüchtlinge sucht in den Nachbarländern Schutz. Angesichts dessen könne man sich fragen, wofür überhaupt der Prozess von Khartoum angestoßen wurde. Nach ihrer Einschätzung werden die Regierungen am Horn von Afrika die in Aussicht gestellten Finanzhilfen zwar annehmen, sich jedoch nicht kaufen lassen. Es sei für die Regierungen immer noch lukrativer die Flucht nach Libyen nicht zu unterbinden. Auch die Vorstellung, man könne Polizei und staatliche Institutionen dahingehend unterstützen, dass sie ein Partner bei der Bekämpfung von Schleusern werden, sei zu kurz gedacht. Schleuserringe funktionieren nur dank der Sicherheitsinstitutionen in der Region. Auf diese Weise werden Strukturen gestärkt, die selber Teil des Problems sind.  

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III. Verdrängung, Einhegung, „Heimatnahe Unterbringung“ (Türkei und Nahost)

Das dritte Panel des Tages wendete den Blick in Richtung Türkei und Nahost und griff damit jüngste Bestrebungen der EU auf, die Anzahl neu ankommender Schutz- und Asylsuchender in Europa u.a. durch ein Abkommen mit der Türkei drastisch zu senken. Bei über 850.000 Schutzsuchenden, die im Jahr 2015 von der Türkei aus die griechischen Inseln erreichten, hat die EU ein besonderes strategisches Interesse an dem Deal. Dieser sieht Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger bei der Einreise in die EU sowie drei Milliarden Euro Unterstützung für die Flüchtlingsaufnahme vor. Im Gegenzug erklärt sich die Türkei dazu bereit, alle MigrantInnen die illegal über die Türkei nach Griechenland eingereist sind, in die Türkei zurückzunehmen. Dabei ist die Menschenrechtslage in der Türkei selber angespannt und das Asylsystem ist weit davon entfernt internationalen menschenrechtlichen Standards zu entsprechen, zumal es mit einem regionalen Vorbehalt ausgestattet ist, das nichteuropäischen Schutzsuchenden nur einen temporären Schutzstatus zuspricht. Die Diskussionen über eine Einstufung der Türkei als „sicheres Drittland“ hält Oktay Durukan von Refugee Rights Turkey für fatal, denn dies würde bedeuten, dass grundsätzlich alle Schutzsuchenden zurückgeschickt werden können. Dies entspräche der australischen Lösung und wäre das Ende des europäischen Asylsystems. Auch Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zeigte sich angesichts der jüngsten Entwicklungen besorgt. Eine sich abzeichnende Konsequenz dieses Deals sei, dass die Türkei ihrerseits eine Externalisierung der Migrationskontrolle betreiben wird. Die Frage ist, wer am Ende dieser Kette stehen wird und wie es dann dort um das Asylsystem bestellt ist. In der Europäischen Union drohe tatsächlich das Ende des individuellen Asylrechts, wenn andere und neue Formen des Flüchtlingsschutzes in Form von Kontingenten oder Resettlement an seine Stelle treten. Es besteht die Gefahr, dass sich Europa am Ende auch auf eine australische Lösung hinbewegen könnte –Schutzsuchende und MigrantInnen werden schon vor Erreichen der australischen Küste auf hoher See aufgegriffen und extraterritorial auf der pazifischen Insel Nauru im Pazifik interniert, wo äußerst restriktiv über Asylansprüche entschieden wird.

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Update: Im Nachgang zu der Tagung und angesichts immer neuer Programme der EU zur Externalisierung der Flucht- und Migrationskontrolle haben medico international, PRO ASYL und Brot für die Welt ein vierseitiges Standpunktpapier veröffentlicht. Siehe hier

 

 

[i] Mauretanien ist 2009 aus der ECOWAS ausgeschieden, dennoch wurde die Freizügigkeit für MigrantInnen aufrechterhalten und in Abkommen mit Mali und Senegal formalisiert.

[ii]Eine Ausführliche Analyse Stephan Dünnwalds zu den Auswirkungen des europäischen Migrationsregimes auf Mauretanien findet sich in dem 2014 von Brot für die Welt gemeinsam mit medico international und PRO ASYL herausgegebenen Sammelband „Im Schatten der Zitadelle“ (zur Kurzfassung)

 

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