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G7 in der Identitätskrise

Von Sven Hilbig am

Die aktuellen Berichterstattungen über den bevorstehenden G7-Gipfel beschäftigen sich vornehmlich mit der Sicherheitslage vor und während des Treffens der sieben Regierungschefs im bayrischen Elmau. Wie so oft, droht die inhaltliche Auseinandersetzung über die dringenden weltpolitischen Fragestellungen und die Diskussionen über Lösungsansetze ins Hintertreffen zu treten. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den G7 setzt außerdem voraus, dass sie sich nicht auf die Tagespolitik und die Themen beschränkt, die uns von der Bundesregierung vorgegeben werden. Vielmehr müssen wir auch grundlegendere Fragen aufwerfen und diskutieren, wie zum Beispiel die nach der historischen Verantwortung der G7-Staaten an den aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrisen. Und was ist von der sogenannten Rückbesinnung der G7 als Wertegemeinschaft zu halten. Mit einem Rückblick auf die 40-jährige Geschichte der G7 geht Peter Wahl in seinem folgenden Gastbeitrag auf diese Fragen ein.

G7 in der Identitätskrise

Dieses Jahr wird die G7 40 Jahre alt. Ihre Gründung 1975 war die Reaktion auf einen tiefen Einschnitt in der Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit: die Aufgabe der festen Wechselkurse zwischen den großen Währungen und das Ende der Golddeckung des Dollars. Das war das Ende eines Systems, das für drei Jahrzehnte relativ stabile weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen gewährleistet hatte.

Urknall der Globalisierung

Der Wechselkurs ist ein strategischer Preis. Er wirkt sich auf alle Importe- und Exporte aus und hat damit einen enormen Einfluss auf die Volkswirtschaft. Seine Liberalisierung sollte sich als der Urknall jenes Prozesses erweisen, der später als Globalisierung bezeichnet wurde.

Zunächst einmal aber bedeutete das Ende der festen Wechselkurse, dass Volatilität und neue Unsicherheiten entstanden. Hier setzte die Grundidee der G7 an: durch politische Koordination sollte die verloren gegangene Stabilität und Berechenbarkeit des Währungssystems kompensiert werden. Dahinter steckte die Überzeugung, dass Märkte politisch reguliert werden müssen.

Als Format wurde ein informelles Gremium, ohne Satzung, ohne Sitz und mit rotierendem Vorsitz gewählt. Mit „Kamingesprächen“ der Staatschefs, so die ursprüngliche Konzeption, sollte eine globale Steuerung der Weltwirtschaft erreicht werden.

Von Anfang an problematisch waren allerdings die Intransparenz der Entscheidungsprozesse, wie sie informellen Gremien aber immer inhärent sind, und der Verdrängungseffekt gegenüber der UNO. Schließlich hat die UNO – trotz großen  Reformbedarfs - immer noch mehr Legitimität als ein selbsternannter „Weltwirtschaftsgipfel.“

Vorreiter der neoliberalen Wende

Bald stellte sich jedoch heraus, dass die Problemlösungsfähigkeit der G7 äußerst beschränkt war. Denn der Liberalisierung der Wechselkurse folgten die Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte. Deren Entfesselung bedeutete gleichzeitig ein Zurückdrängen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten. Das war so gewollt. Denn es entsprach dem neuen Leitbild, das damals seinen Siegeszug antrat: dem Neoliberalismus. Zu dessen Credo gehört der „schlanke Staat.“ Der Markt und die Privaten wüssten demnach am besten, wie Wirtschaft geht.

Damit machten die G7 sich aber im Grunde als politische Steuerungsinstanz selbst überflüssig. Wer glaubt, Märkte seien effizient und in der Lage, sich selbst zu regulieren, braucht nun mal keinen Staat, keine politische Steuerung und Koordination. Folgerichtig wurden die Gipfel zu Veranstaltungen von „Soft Power.“ Die G7 wurden zum Vorreiter bei der Durchsetzung des neuen Paradigmas.

Gleichzeitig wurde die Agenda ins Uferlose ausgeweitet. Geopolitische Themen wurden aufgegriffen, wie der sowjetische Krieg in Afghanistan. Die G7 erklärten sich solidarisch mit den „Freiheitskämpfern“, darunter ein gewisser Osama Bin Laden.

Auch Entwicklung und Umwelt kamen auf die Agenda. Aber auch hier überwiegt die Rhetorik, und die wenigsten Versprechungen zur Umwelt- und Entwicklungsfinanzierung wurden eingehalten. Die grundlegenden Probleme der Weltwirtschaft, wie globale Handelsungleichgewichte oder die Volatilität des Währungssystems, wurden dagegen nie wirklich angepackt. Die G7 wurden zunehmend eine große PR-Show, in der globale Problemlösungskompetenz simuliert wurde. Sie wurden daher auch immer mehr zur Zielscheibe von Kritik und Protest. 1984 fand die erste Alternativveranstaltung, The Other Economic Summit, statt. Seither gibt es zu jedem Gipfel Protestaktion, zum Teil spektakulär wie z.B. 2002 in Genua.

Washington Konsens gegen den Süden

Der einzige Fall, bei dem die G7 handfeste Politik mit großen Folgen machte, war die Schuldenkrise des Südens. Die G7 setze sich an die Spitze des Schuldenmanagements. Auf Grundlage des Washington Konsens diktierte sie den Schuldnern die berüchtigten Strukturanpassungsmaßnahmen. Deren Kosten gingen primär zu Lasten von Sozialem, Gesundheit, Bildung und anderer Gemeinschaftsgüter. Armen und anderen verwundbaren Gruppen wurde per Austeritäts- und Sparpolitik die Folgen aufgebürdet. Ein verlorenes Jahrzehnt - für manche Länder sogar mehr als zwanzig Jahre - waren die Folge.

G7 in der Krise

Doch gegenwärtig verändert sich die Welt stürmisch. So repräsentieren die G7 heute nicht mehr die sieben stärksten Volkswirtschaften. Schon jetzt würden Italien und Kanada herausfallen, und spätestens in fünf Jahren auch Frankreich und Großbritannien. Legt man bei der Berechnung des BIP statt der Dollarparität die Kaufkraftparität zugrunde, wären sogar schon jetzt von den alten G7 nur noch USA, Japan und Deutschland übrig. Die anderen wären von China, Indien Brasilien und Russland verdrängt.

Zudem sind neue Akteure entstanden, wie die G20, die deutlich repräsentativer sind als die G7. Außerdem gibt es inzwischen ausgesprochene Konkurrenzveranstaltungen zu den G7 (und den G20). Das ist vor allem die Allianz der BRICS-Staaten,[1] die „eine demokratischere und gerechtere multi-polare Weltordnung“ fordern, wie es in der ersten Gipfelerklärung 2009 heißt.[2] Mit der Etablierung einer gemeinsamen Entwicklungsbank und einem gemeinsamen Reservefonds mit zunächst jeweils 100 Mrd. USD ausgestattet, ist nicht nur eine recht weitgehende Institutionalisierung eingegangen sondern zugleich eine  Alternative zu IWF und Weltbank geschaffen worden.

Aus all diesen Gründen hat die G7 einen Bedeutungs-und Funktionsverlust erlitten, der heute zu einer Identitätskrise geführt hat. Wer braucht die G7 noch, und wofür?

G7 als Wertegemeinschaft?

Als Antwort versucht die G7 eine „westliche Wertegemeinschaft“ als neues Alleinstellungsmerkmal zu proklamieren. Was das genau ist, ist etwas nebulös. Es ist von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat die Rede. In den USA hält man auch „freie Märkte“ für einen westlichen Wert.

Sicher gehören Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte zu unseren Werten. Aber das ist nicht alles. Zur Liberté gehören auch Egalité und Fraternité, soziale Gerechtigkeit und Solidarität. Bei den Menschenrechten bedeutet dies, dass politische und soziale Menschenrechte zusammengehören. Und heute heißt Gerechtigkeit auch Generationengerechtigkeit, d.h. der Schutz und die Bewahrung der Biosphäre unseres Planeten. Last but not least gehört auch ein internationales System dazu, das auf Kooperation, fairen Interessenausgleich und politische Konfliktlösung orientiert ist. Ein selektiver Umgang mit Werten oder gar deren Instrumentalisierung für Hegemonialinteressen sind dagegen inakzeptabel. Das führt nur dazu, dass die G7 zur Wagenburg des Westens wird. Das ist das letzte was die Welt braucht.

 

Peter Wahl ist Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung. Für Brot für die Welt beobachtet er den G7-Gipfel 2015 in Schloss Elmau.

 

[1] Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika

[2] archive.kremlin.ru/eng/text/docs/2009/06/217963.shtml

 

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