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Der Körper lebt nur noch von den eigenen Reserven

In Ostafrika breitet sich eine Hungerkatastrophe aus. Allein im Südsudan sind fünf Millionen Menschen dringend auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen, eine Million stehen am Rande der Hungersnot. Marina Peter, Brot für die Welt-Expertin für den Südsudan, zu den Gründen für das millionenfache Leid.

Von Ehemalige Mitarbeitende am

Warum ist die Nahrung so knapp geworden in Teilen des Südsudans?

Die Menschen in den betroffenen Gebieten sind durch Kämpfe bereits mehrfach vertrieben worden, aber immer wieder in der Hoffnung auf Frieden zurückgekehrt. Es gibt auch ruhigere Phasen, aber plötzlich attackiert erneut eine bewaffnete Gruppe einen Ort und die Bauern können nichts anbauen. Auch die klimatischen Bedingungen sind schwierig. Es herrscht Dürre im Rest von Ostafrika, weil es lange keinen Regen gab. Umgekehrt kommt es aufgrund der Bodenverhältnisse spontan zu Überflutungen, wenn es dann mal regnet. Wenn zwei Ernten ausfallen, wovon sollen die Bauern sich und ihre Familien ernähren? Dazu kommt  eine horrende Inflation, das Land ist völlig bankrott, hat keinerlei Reserven und die Kriegsparteien lassen häufig keine humanitäre Hilfe zu.

Die Kämpfe sind also maßgeblich verantwortlich für die Hungerkrise?

Ja, die Gebiete sind besonders umkämpft, weil es dort üppige Ölvorkommen gibt. Das führt zu Begehrlichkeiten von Seiten der Regierung wie von Seiten der Rebellen, die vertrieben worden sind. Gleichzeitig handelt es sich um besonders vernachlässigte Regionen. Sie sind am weitesten entfernt von der Hauptstadt und  logistisch schwer zu erreichen. Insofern war es für die Humanitäre Hilfe immer ein Problem gewesen, die Menschen in den Gebieten zu versorgen.

Wie muss man sich die Situation der Menschen konkret vorstellen?

Wir können uns das gar nicht vorstellen… Vorletztes Jahr habe ich erlebt, wie die Leute sich in Sümpfen verstecken mussten. Die Menschen haben fast im Wasser gelebt, mit bloßen Händen Fische gefangen und roh verzehrt. Sie haben Samen gegessen und alles, was sie in der Natur noch finden konnten. Doch irgendwann lebt der Körper nur noch von den eigenen Reserven. Die Kinder betrifft es am meisten. Fünf Millionen Menschen sind vom Hunger bedroht. Dass die Hungersnot jetzt offiziell ausgerufen wurde, macht deutlich, wie schlimm es tatsächlich ist.

Gibt es denn jetzt Hilfsbereitschaft von Seiten der internationalen Gemeinschaft?

Die Bundesregierung hat schon 28 Millionen Euro zugesagt, die EU 82 Millionen Euro. Das ist gut, aber erst ein Anfang. Man muss prüfen, wo diese Gelder hingehen, wer an den Transporten der Humanitären Hilfe verdient. Es hat sich gezeigt, dass die Korruption immens groß ist. Deshalb ist es so wichtig, mit langjährigen vertrauenswürdigen Partnern zu arbeiten wie unsere Schwesterorganisation Diakonie Katastrophenhilfe sie hat.

Wie lange schon zeichnet sich die aktuelle Hungerkrise ab?

Schon seit Monaten ist klar, dass dringend geholfen werden muss und zwar in vielen Teilen des Landes. Darauf hat die Diakonie Katastrophenhilfe mehrfach hingewiesen. Aber die Hilfe hat die Gebiete nicht erreicht, weil weder die Rebellen noch die Regierung das zuließen. Humanitäre Hilfe wird im Südsudan immer wieder als Kriegswaffe eingesetzt. Und ich finde es wirklich skandalös, wenn wir uns noch bedanken müssen, dass uns humanitärer Zugang gewährt wird. Gleichzeitig werden einheimische humanitäre Helfer regelrecht zur Zielscheibe. Die nun offiziell ausgerufene Hungersnot ermöglicht hoffentlich, dass das jetzt anders wird. Das muss schnell gehen, denn bald beginnt die  Regenzeit und der Transport wird schwieriger. 

Wie sollte sich die internationale Gemeinschaft verhalten?

Natürlich müssen wir helfen, wir haben ja auch das humanitäre Mandat. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft mit einer Stimme spricht, dass ein Waffenembargo ausgesprochen wird, dass Konten eingefroren werden. Der Druck auf die Regierung und auf die Rebellen muss erhöht werden. Denn in der Realität ist es häufig so, dass man von Frieden redet und Krieg vorbereitet. Gerade hat das Friedensforschungsinstitut SIPRI den neuen Rüstungsexportbericht veröffentlicht. Es gab noch nie so viel Aufrüstung wie jetzt, auch in dieser Region. Solange Leute im Südsudan oder außerhalb mehr am Krieg verdienen als am Frieden, sind die Chancen für Frieden denkbar schlecht. Dieser Teufelskreislauf muss durchbrochen werden.

Sehen Sie aktuell eine Chance für Frieden?

Schwierig, solange in der Regierung und auch bei den Rebellen noch die Kämpfer der ersten Generation an der Macht sind. Sie sind traumatisiert vom Krieg, kennen ja nichts anderes als nur Gewalt und sind nicht reformfähig. Man muss mit denen arbeiten, die nachkommen. Das ist ein sehr langfristiger Prozess. Ich befürchte, dass es noch etliche Opfer geben wird. Doch was wir tun können, ist nicht vergeblich: auf eine Person, die Krieg will, kommen mindestens Zehntausend, die keinen wollen – und die gilt es zu stärken.

Um Frieden zu finden, muss ja auch die Gesellschaft an Versöhnung arbeiten. Das wird schwierig, denn der Krieg ist ja besonders grausam…?

Dieser Hass und die Eskalation, die wir im Südsudan beobachten, sind neu. Die Gewalt hat eine ethnische Dimension bekommen, so dass Angehörige einer Volksgruppe wahllos von Angehörigen einer anderen Volksgruppe getötet werden, ähnlich wie in Ruanda. Es gibt UN Berichte von verheerenden Massenvergewaltigungen.  Die Frauen werden nicht nur vergewaltigt, sondern auch umgebracht und zerstückelt…. Doch Versöhnung ist möglich, das kennen wir von unserer eigenen Vergangenheit und auch aus Ruanda. Sie ist allerdings ungemein schwierig und braucht lange Zeit.

Was sind die Gründe für diese Eskalation?

Die Frage nach Identität ist aufgebrochen wie bei Ländern nach der Entkolonialisierung, wenn die einigenden Klammern wegfallen. Vorher hielt der Feind "Sudan" die verschiedenen Ethnien im Südsudan zusammen, doch für die Zeit nach der Staatsgründung gab es keinen Plan. Jetzt stellen sich Fragen, die man weltweit beobachten kann: „Wer gehört dazu und wer nicht, wer hat Zugang zu Ressourcen und wer hat keinen Zugang dazu.“ Die Mobilisierung läuft dann entweder über eine religiöse oder über eine ethnische Komponente. Beides ist furchtbar und kann verheerende Folgen haben. Eine Gruppe will sich durchsetzen und die Führung auch über die Ressourcen gewinnen. Das Land ist wahnsinnig fruchtbar, hat viele Bodenschätze, Gold, Wälder und seltene Erden hat, was die Begehrlichkeiten weckt. Darüber hinaus ist es geopolitisch wichtig als Puffer gegenüber islamischen Ländern. Deswegen hat die internationale Gemeinschaft den Südsudan überproportional gefördert und hat nicht früh genug analysiert, was eigentlich dort passiert. Aktuell werden von der Gewalteskalation auch Gebiete erfasst, die vorher friedlich waren wie Äquatoria. Die Angst der Menschen ist groß, dass sich der Konflikt noch weiter ausweitet.

Bei so viel erfahrenem Leid und eskalierender Gewalt – kann es da überhaupt zu Versöhnung kommen? Wo sehen Sie die Rolle der Kirchen und der Entwicklungszusammenarbeit dabei?

Die einzige Chance ist, dass der Druck für Frieden von innen kommt. Die Kirchen versuchen selber einen Friedensaufbau von unten zu gestalten.  Dieses Programm ist allerdings  auf zehn Jahre angelegt. Das bedeutet, im ganzen Land auf verschiedenen Ebenen Leute zusammen zu bringen, Möglichkeiten für Gespräche zu schaffen und sich auszusöhnen. Es geht darum, gemeinsame Utopien zu entwickeln und eine gemeinsame Identität. Dass man nicht nur gegen etwas ist, sondern für etwas, und nicht nur innerhalb der eigenen Gruppe, sondern innerhalb des Landes. Wo nicht unmittelbar gekämpft wird, müssen alle entwicklungsorientierten Projekte aufrechterhalten werden. Beispielsweise fördert Brot für die Welt Partner im Bereich Erziehung und Ausbildung. Falls das zu gefährlich wird, müssen die in den Flüchtlingslagern in Uganda weitergehen. Damit haben wir bereits angefangen.

Machen sich südsudanesische Flüchtlinge eigentlich auf den Weg via Europa?

Wie bei jedem Konflikt bleibt die Masse der Flüchtlinge in den Nachbarländern. Eineinhalb Millionen Menschen sind in den Sudan, nach Äthiopien, nach Uganda und nach Kenia geflohen und es gibt zwei Millionen Vertriebene innerhalb des Südsudan. Natürlich schaffen die Ärmsten der Armen es nie nach Europa, Verhungernde können sich schon gar nicht auf den Weg machen. Aber natürlich sagen auch Intellektuelle, dann gehe ich, hier gibt es keinerlei Überlebenschancen.

Und jetzt wird durch EU-Mittel die Ausbildung von südsudanesischen Polizisten und Grenzschützern finanziert. Das passiert im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses. Deutschland ist hier federführend. Das ist absurd in einer solchen Situation. Durch die Migrationskontrolle sollen die Menschen daran gehindert werden, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Mit staatlichen Stellen kann man meiner Meinung nach aber aktuell nicht zusammenarbeiten. Schon viel früher hätten Hilfen nur unter ganz bestimmten Bedingungen fließen dürfen, weil schon lange bekannt ist, wie korrupt das System ist. Die offizielle Entwicklungshilfe ist momentan ausgesetzt und es findet ein Prüfungsprozess statt, ob man sie beibehält.

 

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