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Rio 2016: Die andere Seite der Medaille

Die Olympischen Sommerspiele 2016 werden seit dem 5. August in Rio de Janeiro ausgetragen. Die Infrastruktur die dafür aufgebaut wurde - Stadien, Metro-Linien, Straßen - geht leider an den Bedürfnissen der meisten Armen vorbei. Viel Geld versickerte dunklen Kanälen.

 

Von Christina Margenfeld am

Nach dem Confederations Cup 2013 und der Fußball-WM 2014 findet seit dem 5. August das nächste sportliche Großevent in Brasilien statt: Die Olympischen Sommerspiele 2016 werden in Rio de Janeiro ausgetragen. Kaum ein Land vereint mehr kulturelle Stereotypen als Brasilien, Rio gilt als Sehnsuchtsort par excellence: Copacabana und Caipirinha, Samba und brasilianische Lebensfreude.

Politik, Sport und Korruption

Doch die friedliche Kulisse täuscht: Das Land steckt in der tiefsten Regierungs- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, ausgelöst durch einen riesigen Korruptionsskandal, der die gesamte politische Klasse durchzieht. Der Sturz von Regierungschefin Dilma Rousseff durch reaktionäre Kräfte ist ein schwerer Schlag gegen die Demokratie. Mit wachsender Rezession und Arbeitslosigkeit und dem Ausbruch des Zika-Virus überlagert eine Krise die nächste. Die Olympischen Spiele selber sind im Vorfeld wegen undurchsichtiger Kosten, Klientelwirtschaft und offener Umweltfragen, etwa die Säuberung der hochverschmutzten Guanabara-Bucht, in die Kritik geraten.

Laut Bürgermeister Eduardo Paes gibt es keine Probleme. Rio de Janeiro werde durch Olympia „eine gerechtere Stadt“. Die Sicherheit des Mega-Events zumindest ist garantiert: Rund 85.000 Sicherheitskräfte sind während der Olympiade im Einsatz. „Die Spiele haben uns die Chance zu infrastrukturellen Verbesserungen gegeben, nach der die Stadt jahrzehntelang gelechzt hat", so Paes. Doch die Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr wie die Erweiterung der Metro-Linien gingen an den meisten Armen vorbei. Der neue Flughafenterminal, die neuen Autobahntunnel und Schnellstraßen kommen vor allem den Wohlhabenden in Rio zugute. Die marode städtische Infrastruktur hätte die milliardenschwere Finanzspritze dringender benötigt. Jeder vierte Bewohner von Rio lebt in einer Favela, jeder dritte ohne Abwassersystem.

Der Bürgermeister von Rio hingegen hofft nach den Spielen auf einen Karrieresprung. Ihm werden Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur 2018 nachgesagt. Die Trias aus Politik, Sport und Korruption hat Paes schon einmal befördert: Sein Wahlkampf wurde zum Großteil  von der Bauindustrie finanziert – die erhielt im Gegenzug die Aufträge für die Olympiasportstätten.

Baulöwen und Immobilienhaie

Nicht die Menschen in Rio, sondern einige wenige Baukonzerne und Immobilienspekulanten profitieren von der Olympiade. So steht der größte Gewinner bereits vor Beginn der Spiele fest: Carlos Carvalho ist einer der reichsten Brasilianer und Bauherr des Olympischen Dorfes. Im Barrio da Tijuca im Südwesten der Stadt – früher die Heimat für die untere Mittelschicht – baute der Milliardär mit dem Baukonzern Odebrecht 19.000 Betten für Sportler, Trainer und Betreuer. Odebrecht ist ein Gigant in der Baubranche. Mit dem Bau von Großprojekten und Anlagen der Petrochemie von Brasilien bis Angola erwirtschaftet der Mischkonzern jährlich etwa 35 Milliarden Dollar (Umsatz in 2014). Im Rahmen des Petrobras-Skandals wurde das Unternehmen kürzlich wegen Verdacht auf Wirtschaftskriminalität und Geldwäsche angeklagt.

Ilha Pura – Die Stadt der Elite

Als Carvalho das Brachland vor Jahren günstig erwarb, durfte nur in Höhe von acht Stockwerken gebaut werden. Das Baurecht wurde kurzfristig geändert – und damit der Wert gesteigert. Heute reiht sich im Barrio da Tijuca, kurz „Barra“ genannt, ein Häuserblock an den nächsten. Eingebettet in etwas  Grün und nur wenige hundert Meter vom Strand entfernt, will Carvalho hier seinen Traum der Zukunft verwirklichen: Eine Stadt für die Elite. Die „Ilha Pura“, oder „reine Insel“ soll der gehobenen Mittel- und Oberschicht Lebensraum bieten, fernab von lästigen Favelas und Rios Realität. Nach der Olympiade sollen die Sportlerwohnungen als hochwertige Apartments verkauft werden. In Hochglanzprospekten wird für ein Luxusleben im Einklang mit der Natur geworben (ilhapura.com.br). Der geschäftstüchtige 91-Jährige ließ sich sein gigantisches Bauprojekt sogar mit dem LEED-Siegel für Nachhaltigkeit zertifizieren. Mit dem Verkauf der Wohnungen erhofft sich Carvalho einen Gewinn in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar. Sowohl Carvalho als auch Odebrecht gehören zu den bedeutendsten Spendern der Regierungspartei in Rio. 

Vertreibung der Bewohner Rios

Nur wenige Kilometer vom Barrio da Tijuca entfernt liegt die Vila Autódromo. Das Viertel grenzt direkt an den Olympiapark, wo in den vergangenen Monaten neue Sportstätten aus dem Boden schossen. Im Rahmen von Zwangsräumungen wurden die Bewohner mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben, ihr gesamtes Stadtviertel zerstört. „Die Menschen leben seit Jahren friedlich zusammen, es gibt gewachsene Strukturen und eine starke Gemeinschaft. All dies wurde für ein Mega-Event, das gerade mal zwei Wochen dauert, zerstört“, so Itamar Silva, Geschäftsführer des brasilianischen Think Tanks IBASE, der auch von Brot für die Welt gefördert wird.  

Das Bürgerkomitee „Comité Popular“, an dem sich auch IBASE beteiligt, veröffentlichte kürzlich das Dossier „Spiele der Ausgrenzung“ (Os Jogos da Exclusão) zu sportlichen Mega-Events und den damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen. Aufgrund der Sportevents und der dafür notwendigen Infrastrukturmaßnahmen wurden im Vorfeld die Häuser von rund 22.000 Familien geräumt. Silva sieht darin eine klare Strategie: „Die Bevölkerung wird ausgegrenzt. Die Olympiade wird als Vorwand genommen, städtische Großprojekte in die Tat umzusetzen, unabhängig von ihrem Nutzen für die Bürger. Es geht nicht um Stadtentwicklung, sondern um die Aufwertung einzelner Stadtteile für Immobilienspekulation. Das verhärtet die Fronten zwischen Reich und Arm noch weiter.“  

Wer bezahlt die Rechnung?

Eine weitere offene Frage ist, wer die Zeche bezahlt. Bislang hat die Olympiade rund zehn Milliarden Euro gekostet. Davon sollten ursprünglich zwei Drittel aus der privaten Wirtschaft kommen. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, zeigt eine Studie des Bürgerkomitees, nach deren Berechnungen mehr als 60 Prozent der Kosten durch Steuereinnahmen gedeckt werden. Der Bundesstaat Rio de Janeiro hat kürzlich den finanziellen Notstand ausgerufen, er kann seine Angestellten nicht mehr bezahlen. Während Milliarden in die Infrastruktur des Mega-Events fließen, fehlt das Geld in wichtigen Bereichen wie der Gesundheitsversorgung oder der Bildung. Nicht verwunderlich, dass rund 60 Prozent der Brasilianer glauben, die Olympischen Spiele würden dem Land eher schaden als nutzen.

Das Erbe von Olympia 

Was bleibt nach Olympia? Viele Bewohner Rios fragen sich, welchen Nutzen das Mega-Event für ihre Stadt hat. Die Mehrzahl der für zwei Milliarden Euro gebauten zwölf WM-Stadien steht heute weitgehend leer. Ob die teuren Sportstätten der Olympiade weiter genutzt werden, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass der touristische Sehnsuchtsort Rio einige Flecken abbekommen hat. Dabei hätte die Herausforderung zur Chance werden können. Die Teilhabe der gesamten Bevölkerung, die Auswahl anderer Stadtteile zum Herzstück von Olympia in Verbindung mit einer nachhaltigen, sozialen Infrastrukturentwicklung: Damit hätte Brasilien als erster Ausrichter der Spiele auf dem lateinamerikanischen Kontinent Maßstäbe setzen können. Die Hoffnung, dass die Olympischen Spiele 2016 ein positives Erbe für die Menschen in Rio hinterlassen könnte, fällt vielen schwer.

 

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