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"Der Sinn kommt zum Schluss"

Isabel hat zum ersten Mal nach elf Monaten in Kambodscha das Gefühl, einen Teil der weltwärts-Idee wirklich verstanden zu haben. Hier berichtet sie von persönlich bewegenden Minuten, die dem Freiwilligendienst schließlich "Sinn geben" und manche vorherige Frustration vergessen machen.

Von Gastautoren am

„weltwärts ist ein Lerndienst. Der Nord-Süd-Austausch und das gemeinsame interkulturelle Lernen stehen im Mittelpunkt.“

zitiert nach http://www.weltwaerts.de/de/programm.html


Seit einigen Tagen war deutlich Anspannung unter den Mitarbeitern des FLC-Programms zu spüren. Der Grund dafür war die nahende Zeugnisvergabe für die Schüler der 3. Klasse, die erfolgreich ihre Abschlussarbeiten bestanden hatten. Dies sollte nun in einer feierlichen Zeremonie gebührend gewürdigt werden. Ich hatte von den Planungen nicht viel mitbekommen, denn alle Besprechungen fanden weit weg von meinem Arbeitsplatz in einem anderen Stockwerk statt. Einmal fragte mich mein Kollege Bunrith, ob „appreciation“ das richtige Wort sei für „feierliche Zeremonie“ und da ich selbst nicht ganz sicher war, googelte ich ein bisschen und nickte schließlich achselzuckend zustimmend. Wird schon gehen.


Ich hatte ohnehin nicht angenommen, in irgendeiner Form Teil der Veranstaltung zu sein, denn meine Mädchen sind alle Lernende der 2. Klasse und die Schüler und Schülerinnen der anderen Level kannte ich höchstens flüchtig vom Flur, wenn ich bereits mit geschultertem Rucksack meinem Feierabend entgegenhüpfte. Am letzten Donnerstag sah ich also nur kurz auf, als Bunrith und der Projektleiter Mr. Pidion mit Stift und Zettel ausgestattet das Büro verließen. Eine halbe Stunde später, ich saß gerade an einem Arbeitsblatt über die verschiedenen Räume in einem Wohnhaus, kamen sie wieder und Bunrith räusperte sich in meine Richtung. Ich zog die Ohrstöpsel herunter und wartete. “Isa, we want you to hold a speech at the ceremony.“


Ich starrte ihn an, einigermaßen überrumpelt, und sagte schließlich gedehnt: “What kind of a speech?“ Es stellte sich heraus, dass ich wohl für etwa fünf Minuten eine motivierende Rede über die Vorteile des Englischlernens und –sprechens halten sollte. Noch während Bunrith das genauer erläuterte, bekam ich plötzlich einen dicken Hals und spürte, wie Wut aus dem Inneren meiner Brust in alle Gliedmaßen bis in die Fingerspitzen kroch. Das war ja mal wieder typisch, dachte ich: „Im Büro redet man kaum miteinander, aber sobald es irgendeine Gelegenheit gibt, an die Öffentlichkeit zu gehen, wird die Weiße herangezogen, als vermeintlich repräsentatives Aushängeschild einer ach so fortschrittlichen und weltoffenen, tollen NGO.“

Wie oft hatte ich schon als zentrales Fotomotiv für Werbezwecke herhalten müssen, auch wenn der eigentlich Zweck des Bildes gar nichts mit mir zu tun hatte. Wie unwohl hatte ich mich stets gefühlt, wenn mir der Stuhl am Kopfende des Tisches angeboten wurde und ein hochrangiger Mitarbeiter dafür stehen musste. Meine Finger kribbelten, wollten als geballte Faust auf den Tisch schlagen und auf meiner Zunge bildete sich schon ein aggressives „Ich mach das nicht!“, aber wie würde das auf meinen Kollegen wirken? Ich schluckte also so viel Ärger wie möglich herunter und bemühte mich um einen möglichst ausdruckslosen Gesichtsausdruck, der gerade rechtzeitig fertig wurde, als auch Bunrith seinen letzten Satz abschloss.

Jetzt schaute er erwartungsvoll und ich schaute ausdruckslos zurück und suchte nach Worten. Schließlich: “I…don´t really see, why I should be doing this. Why don´t you do it?“ Nervöses Kichern seinerseits und ein unsicherer Blick in Richtung des Projektleiters, der gänzlich in seine Arbeit versunken schien. „Mr. Pidion wants you to do it.“

Ich straffte gedanklich die Schultern und sagte schließlich bestimmt aber (hoffentlich) einigermaßen höflich, dass ich nicht glücklich mit dieser Idee sei und dass ich außerdem fände, dass eine solche Rede von einem Kambodschaner gehalten werden sollte. Schließlich seien es ja auch kambodschanische Schüler, die hier Englisch lernen und sowohl die Motivationen als auch die Vorteile seien doch viel glaubhafter, wenn sie von jemandem vermittelt würden, der mit ihnen die Muttersprache, die Kultur und den Bildungshintergrund teilt.

Ohne dass ich es wollte, hatte sich meine Stimme immer höhergeschraubt und war eindringlicher und schneller geworden. Im Büro war es für einen Moment still, zwei Augenpaare starrten mich gleichermaßen überrascht und enttäuscht an. Ich wartete auf eine Erwiderung, aber es kam keine. Ich setzte nach und fragte herausfordernd: “Why do you want me to do it?” Bunrith warf hilfesuchend einen Blick zum Projektleiter. Der spricht praktisch kein Englisch, allerdings versteht er ziemlich viel. Und nun knetete er ein bisschen seine Finger und schnarrte dann langsam: „Because you are a foreigner.“

Natürlich hatte ich mit so einer Antwort gerechnet, trotzdem fiel ich fast vom Stuhl angesichts der Tatsache, dass er das einfach so zugab. Wo blieb um Gottes Willen die Selbstachtung, wo blieb der Stolz?! Es mag ja vielleicht Leser geben, die sich schon seit dem ersten Satz fragen, warum ich so ein Fass aufmachte. „Na, komm, hältst du halt eine Rede, brichst dir doch keinen Zacken aus der Krone und du tust ihnen doch nur einen Gefallen damit.“ Nein, nein, nein, ich erhebe Einspruch!

Leicht frustriert geprägter Exkurs

Der Begriff „Entwicklungszusammenarbeit“ ist seit seiner Entstehung ein Minenfeld. Es häufen sich seit Jahren die Vorwürfe, dass Industrieländer und sogenannte „Entwickelte Länder“ sich mit diesen formlosen Lorbeerblättern schmücken, bloß weil sie eine Menge Geld in zum Beispiel verarmte afrikanische oder asiatische Länder schicken, wo es im ausgedorrten Boden versickert. Länder des globalen Nordens haben mühsam gelernt, mit Geld umzugehen. Deswegen haben sie auch welches. (Unter anderem deswegen!) Einen Teil dieses Geldes dann aber relativ bedingungslos in Länder mit komischen Leuten an der Spitze und wirklich komplexen Problemen (wie Volksverarmung, unzureichende Bildungssysteme, Ressourcenverschwendung etc.) löst die Problematik des Ungleichgewichts nicht, sondern schürt nur die Vorstellung, dass ein Teil der Menschen auf der Welt unendlich viel Geld zum Ausgeben hat und „weiß, wie es geht“.

Was „das“ dabei genau sein soll, spielt meistens gar keine echte Rolle. „Das“ ist alles, was gut ist, was funktioniert, was Ergebnisse liefert. Natürlich schickt man nicht nur Geld, das wäre nun doch zu unkreativ. Entwicklungszusammenarbeit ist ein ernstzunehmendes Arbeitsfeld. Die act alliance, ein kirchlich-humanitäres Hilfsnetzwerk verschiedener Organisationen beschäftigte 2009 etwa 40.000 Menschen. Manche von Ihnen sitzen viel im Büro, andere gehen als Friedenshelfer in Krisengebiete, sind als Berater von NGOs in Ländern des globalen Südens tätig oder leisten einen Freiwilligendienst.

Im Heimatland wird diesen Menschen meist zwar überaus konsequent eingebläut, dass man sich im Einsatzgebiet nicht wie ein neo-kolonialistischer Besserwisser aufführen darf, sondern Hand in Hand mit der Bevölkerung arbeiten soll, aber das ist auch bloß das gönnerhafte Gerede von erfolgreichen Ländern, die sich diesen freiwilligen Machtverzicht leisten können, denn ist man erst mal im globalen Süden, wird der Schreiner im kamerunischen Douala einem sicherlich erst mal nicht sagen, dass man sich superbescheuert beim Sägen anstellt, sondern er wird jegliche Kritik hinten anstellen und davon ausgehen, dass man schon weiß „wie das geht.“ Man kommt ja schließlich aus Deutschland, da kann man sogar das Wasser aus der Toilettenschüssel theoretisch trinken, man wird’s schon richtig machen.

Der Schreiner ist natürlich eigentlich kein unselbstständiger unterwürfiger Idiot, aber er hat die „Weißen“ nie anders gekannt. Es sagen doch immer alle, die können alles, haben alles und wissen alles. Das wird schon stimmen, wenn es alle sagen. Der Sägende aus Deutschland seinerseits ist auch kein dominanter Schlauberger, er zweifelt womöglich selber an der Qualität seiner Arbeit. Unsicher schielt er zu dem Schreiner rüber, der begeistert nickt und die Daumen hochreckt. Der Sägende wird nie erfahren, dass seine Gefuchtel mit dem Holzschneidewerkzeug lächerlich war und man das Ergebnis wegschmeißen kann. Wie sollte er auch, er ist konstruktive offen geäußerte Kritik gewöhnt, und versteht des Schreiners Mimik als Lob.

So entsteht ein unausgesprochenes Missverständnis, dessen Ergebnis ist, dass „der Weiße“ in seiner hervorgehobenen Position bestärkt wird, ohne jemals danach gefragt zu haben und der kamerunische Schreiner sich weiter auf die vermeintliche „weiße Hilfe“ von weit weg verlässt und sich seiner eigenen Fähigkeiten,  am Ende  gar nicht recht bewusst ist.

Selbstverständlich ist alles, was ich sage, unheimlich pauschalisiert und keineswegs auf alles und jedes anwendbar. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es vielerorts ganz genau so passiert, wie gerade beschrieben, und dass sich diese Missverständnisse wie ein Virus weiterverbreiten, generationsübergreifend, ständeübergreifend. Je mehr Menschen involviert sind, desto resistenter wird das Virus gegen den Versuch der Hand-in-Hand gehenden entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.

Bei der sollten sich im Idealfall nämlich alle im Klaren über ihre individuellen Fähigkeiten und ihre Möglichkeiten sein. Und diese auch schätzen und als persönlichen Erfolg feiern. Was mein Lösungsvorschlag für das ganze Chaos ist? Ich habe natürlich keinen.

Und wie es persönlich weiterging

Aber all die eben beschriebenen Gedanken im Hinterkopf umherwirbelnd, suchte ich am letzten Donnerstag nach einer Lösung für die Zwickmühle, in der ich mich in diesem Moment befand.  Was mich wirklich störte war nicht, dass man mich eine Rede halten lassen wollte, sondern dass ich allein eine Rede halten sollte. Gleich nach meinem Kollegen, der dasselbe tun würde. Warum eigentlich dieses Separieren zwischen Einheimischen und Ausländern? „So, das war jetzt eine/r von uns und als nächstes machen Sie bitte alle Platz für Miss Isa aus…ja, von wo nochmal? Ach, ist eh wurscht, sie kommt aus Europa.“

Es ist gut, Kambodschaner zu Wort kommen zu lassen, und es ist genauso gut, Ausländern dasselbe zuzusprechen, aber es sollte eindeutig zu sehen sein, dass eine ausbalancierte Verbindung zwischen ihnen angestrebt wird. Kurzerhand machte ich also einen Kompromissvorschlag; Bunrith und ich könnten doch einfach gemeinsam die Vorteile präsentieren. So ganz locker, als kleines Gespräch zwischen Arbeitskollegen, ein bisschen wie ein Rollenspiel mit verschiedenen Perspektiven aber geteiltem Vorteil: Kommunikation wird weltweit möglich. Freundschaften sind auf einmal möglich. „Miteinander“, „Gemeinsam“ sind nicht mehr nur Versprechen, sondern realistische Ziele. Man müsse dem Auditorium nicht mal wirklich sagen, dass dies alles Vorteile wären - sie würden es selbstständig erkennen, und anstatt mit erhobenem Zeigefinger den verstaubten Lehrer Lämpel im entwicklungspolitischen Einsatz zu mimen, würden die Absolventen Frischluft atmen können und die unendliche Vorteilsvielfalt von Zweisprachigkeit an einem interaktiven Beispiel miterleben.

Ich fand meine Idee großartig und in Bunriths kugelrunden Augen glaubte ich ein begeistertes Glitzern erkennen zu können. Ich hatte also schon mal einen Verbündeten. Mr. Pidions Augen dagegen schauten recht ratlos und Bunrith übersetzte für ihn. Dann schauten wir beide erwartungsvoll, während der Projektleiter langsam seinen Papierstapel ordnete, hinlegte und wieder ordnete und schließlich zu sprechen begann. „He says, this he doesn´t want us to do it like that. He says, it is against our culture…” Die Schultern meines Kollegen sackten merklich ab, als er mir übersetzte und er warf mir einen schuldbewussten Blick zu, der wohl so viel wie „Tut mir leid, ich hab’s ja versucht“ heißen sollte. Ich starrte und schäumte innerlich. "Wieso, oh wieso stellte sich ein Mann so quer und missbrauchte dieses Kulturbewahrungsargument, um uns zum Schweigen zu bringen?"

Für Mr. Pidion schien die Diskussion damit beendet zu sein und er wandte sich (zugegeben, mit leicht zitternden Händen) wieder seinen Papieren zu. Bunrith ließ sich ratlos auf seinen Sessel sinken und ich tippte wütend auf meiner Laptoptastatur, um nicht lauthals los zu fluchen. Die Stimmung im Raum war unangenehm angespannt, die Stille knisterte wie brandenburgischer Raureif im Februar. Ich überlegte. Einerseits wollte ich weder Bunrith noch mich noch Mr. Pidion in Bedrängnis bringen und die Diskussion weiter eskalieren lassen, andererseits widerstrebte es mir, klein bei zu geben und „den Virus weiter zu reichen.“

Es sind Dilemmata wie dieses, die den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst und alle anderen Jobs in der Entwicklungszusammenarbeit zu interkulturellen Herausforderungen machen. Wer hat Recht? Hat überhaupt jemand Recht? Wie können wir entscheiden, ohne irgendjemanden zu benachteiligen oder zu bevormunden? Wer soll entscheiden? Der Rau(h)reif kroch mir bereits den Rücken hoch, also stand ich auf und besuchte meine französische Kollegen im Stockwerk über uns. Ich erzählte ihr von den letzten 15 Minuten und hoffte im Anschluss daran auf einen Ratschlag ihrerseits. Sie zuckte ein bisschen müde die Schulter und sagte, sie würde an meiner Stelle einfach mal mit Mr. Sophea sprechen, der sei ja ein bisschen mehr „open-minded“.


Mr. Sophea ist der Direktor meiner Organisation. Nachdem er meine Tätigkeit bei FLC abgesegnet hatte, hatte ich keinen weiteren Grund mehr gehabt, ihn zu Rate zu ziehen, außerdem war er in den letzten Monaten viel beschäftigt gewesen, war mehrere Male in Thailand gewesen und mir in den seltenen Momenten, in denen ich ihm auf dem Flur begegnete stets ausgewichen, wie mir schien. Durch Simon, unseren Seminarleiter in Kampot, erfuhr ich schließlich auch, warum. Es hatte ihn gestört, als Direktor einer ganzen Organisation sich ständig um die Belange dieser Freiwilligen kümmern zu müssen, schließlich habe er doch wirklich viel zu tun und überhaupt. Das führte dazu, dass auch ich den Blickkontakt mied, um ihn nicht weiter mit vermeintlichen Belanglosigkeiten zu nerven.


Dementsprechend nervös war ich dann auch, als ich zum ersten Mal seit Monaten wieder einmal an seine Tür klopfte. Als ich eintrat, sah ich ihn vor seinem Computer sitzen, neben sich einen riesigen Humpen Eiskaffee stehend. Seine Augen schauten müde, als ich ihm von den Differenzen erzählte, aber er erklärte sich bereit, sofort ein kleines Meeting mit dem Projektleiter einzuberufen. Er sagte in schnellem Kambodschanisch etwas in sein Telefon und wenige Sekunden später öffnete sich die Bürotür, und Mr. Pidion erschien im Türrahmen. Ich glaubte, leise Empörung in seinem Gesicht zu sehen, aber er nickte uns beiden zu und ließ sich auf einem Stuhl nieder.

Ich hörte den zwei Herren zu, wie sie sich kurz unterhielten und nickte, als Mr. Sophea sagte: “Mr. Pidion is worried, that your idea might be too informal for this ceremony. The vice president of Youth, Education and Sport will participate in this and in Cambodia we usually never do something like an open discussion in formal ceremonies.” Das verstand ich. In Kambodscha ist es üblich, zu formellen Veranstaltungen jeder Art einen offiziellen Würdenträger einzuladen. Am besten einen Minister, der eine kleine Rede hält.

Ich weiß nicht so genau, was dahinter steckt, vielleicht macht man das in Deutschland nicht anders und es ist mir bisher nicht aufgefallen, aber hier habe ich das Gefühl, dass das Einladen von mächtigen Personen eben vor allem auch die Wichtigkeit der Veranstaltung erneut unterstreichen soll. Es ähnelt aber auch einem Trophäenwettkampf: welche Organisation hat die meisten Fotos mit VIPs, wo gibt es am meisten zu sehen und zu staunen? Vor dem Vizepräsidenten wollte man sich natürlich nicht mit unorthodoxen Spielereien blamieren und ich versprach Mr. Sophea und Mr. Pidion, dass es ganz gesittet und angemessen von statten gehen würde.

Am Nachmittag planten Bunrith und ich den Ablauf der Präsentation. Da ja nicht viel Zeit eingeplant war, wollten wir es ganz simpel gestalten; zwei Menschen stehen nebeneinander vor den Schülern und unterhalten sich. Sie stellen einander dem Publikum vor und stellen sich gegenseitig die Frage, inwiefern sie vom Englischsprechen profitieren. Danach wollten wir jeweils ein, zwei Beispiele liefern, wie wir Menschen durch die englische Sprache kennengelernt hatten, wie wir dadurch auch zu guten Arbeitskollegen geworden waren und am Ende mit dem Fazit: „Englisch lernen lohnt sich, weil es Menschen zusammen bringt“ abschließen.

Ich hatte bereits einen möglichen Ablaufplan entworfen und präsentierte ihn nun Bunrith, der ganz aufgeregt an meinem Schreibtisch von einem Fuß aus den anderen trat. Als ich ihn nach Vorschlägen fragte, schüttelte er den Kopf und meinte, er fände es gut so, wie es ist. Naja, vielleicht sägte ich ja dieses Mal wirklich gar nicht so schlecht, immerhin hatte ich Einspruch angeboten, mehr konnte ich nicht machen.

Am darauffolgenden Tag saßen Bunrith und ich pünktlich um 14 Uhr auf den mit glänzend gelben Hussen (bääähh!) bezogenen Klappstühlen und starrten gespannt auf den Treppenabsatz, warteten auf die jubelnden Massen, die herbeiströmen würden, um unseren innovativen, modernen Auftritt hautnah miterleben zu können. Um viertel nach zwei schlenderten zwei Schülerinnen herein und ließen sich in der letzten Reihe auf zwei Stühlen am Rand nieder. Beide zückten ihr Handy und beugten sich tuschelnd und kichernd über die kleinen Bildschirme.

Zwanzig Minuten später waren noch vielleicht zehn weitere Gäste erschienen, einige von ihnen würden das langersehnte Zertifikat entgegennehmen, andere waren Begleitung und ein, zwei Schaulustige aus Klasse 1 waren auch erschienen. Mich streiften zwar ein paar unverhohlen neugierige Blicke, ansonsten nahm aber keiner wirklich Notiz von uns. Davin, unsere Rezeptionistin, zupfte immer wieder die Falten der himmelblauen Tischdecke zurecht und schob den Korb mit Kunstblumen darauf unentschlossen von der Tischmitte an den Rand und wieder zurück. Hinter dem Tisch standen vier Stühle (ohne Hussen) und ich fragte mich, wer darauf wohl Platz nehmen würde. Einer musste ja wohl für den Vizepräsidenten sein (wo blieb der eigentlich?) und vielleicht einer für Mr. Pidion, einer für Mr. Sophea und vielleicht noch einer für Mr. Samnang, unseren Finance Manager. Um 15 Uhr waren die etwa 40 gelben Stühle zwar vollständig besetzt, aber die Stühle hinterm Tisch immer noch gähnend leer.

Ist das auch etwas Kambodschanisches, über das ich ein bisschen fassungslos den Kopf schütteln kann, oder machen das unsere Minister auch so? “Do you feel prepared, are you excited?“, fragte ich Bunrith, der die Schultern hob und meinte, er sei schon ein bisschen nervös. Als die Uhr zwanzig nach zwei anzeigte, sprangen auf einmal alle Leute im Raum auf, also ich auch, weil ein freundlich aussehender älterer Herr mit Krawatte den Raum betrat. Er faltete die Hände vor der Brust und wurde zu einem der Stühle hinter dem Tisch geleitet. Hinter ihm kam ein Mönch in safranfarbener Robe herein. Auch er bekam einen Platz am Tisch zugewiesen und ehe ich es mir versah, schob mich Bunrith eilig zum dritten Stuhl neben dem des Vizepräsidenten.

Völlig überrumpelt ließ ich es geschehen und schaffte nicht, mehr als ein „W-w…?“ herauszubringen. Das hatte man sich also doch nicht nehmen lassen, die Freiwillige ins Rampenlicht zu rücken. Ich zog etwas verunsichert an meinem Kleid, was die Knie nicht bedeckte und faltete schnell die Hände vor der Nasenspitze, als ich den Blick des Vizepräsidenten auffing. Er nickte lächelnd und sagte mit leiser bedächtiger Stimme:  “Sorry, I´m late. I had a meeting before.“ Er entschuldigte sich bei mir? Mr. Pidion setzte sich auf den letzten freien Platz neben mir. Linda, eine Lehrerin bei FLC, nahm ein Mikrofon in die Hand und bedankte sich erst bei den Menschen hinter dem Tisch für ihr Kommen und dann auch bei allen anderen Gästen.


Danach kündigte sie das Programm auf Khmer und auf Englisch an, Mr. Pidion hielt eine kurze Rede über die (auch kurze) Geschichte des Programms und gleich danach las Linda von ihrem Zettel ab: “And now, Mister Bunrith and Miss Isa will present a little dialogue about the benefits of learning English.“ Bunrith und ich stellten uns vor die Schüler. Das war ein bisschen unglücklich, denn so standen wir mit dem Rücken zu den Menschen hinter dem Tisch und das war respektlos, aber letztendlich, dachte ich mir, ist die Veranstaltung ja für die Schüler. Bunrith begrüßte nochmal alle und schaute dann mit leiser Panik zu mir.

Man muss das verstehen, er lehnte sich genau genommen gegen den Willen seines Vorgesetzten auf, weil ihm meine Idee besser gefallen hatte. Das ist nicht üblich in Kambodscha und außerdem unüblich ist die Art und Weise, wie wir eine Rede halten wollten. Dieses gemeinsame offene Diskutieren, den interkulturellen Austausch vor Publikum kennen Deutsche schon seit langem von der Maischberger oder Anne Will, wo durchaus seriös über Dinge gesprochen wird. (Allerdings nicht immer.) In Kambodscha ist das noch nicht sehr verbreitet und wie das mit neuen Ideen eben so ist, bangt man auch hier um die Gunst der Leute, auf die es ankommt. Ich verstand seine Unsicherheit also sehr gut, ich war ja selbst nicht ganz sicher, ob und wie wir gefallen würden.


Mein Kollege nahm sich ein Herz und begann damit, mich vorzustellen. Ich lächelte ihm aufmunternd zu und tat anschließend dasselbe für ihn. Er fragte mich: “Isa, you are a volunteer. What are your personal benefits of learning and speaking English?”

Ich antwortete: “Well, there are many. As a volunteer in Cambodia I am a stranger. I don´t know much Khmer, I don´t know much about the culture. But whenever I have questions, whenever I am curious, I can ask other English-speaking Cambodians and they can tell me. Language helps me not to feel too strange in a place; I can work and live in almost every country in the world. English makes me freer. This is my personal perspective, let´s talk about yours, Bunrith. What are your personal benefits of learning and speaking this language?”


Ein kurzer Blick ins Publikum. Einige Schüler starrten uns beinahe ängstlich mit riesigen Augen an, andere wirkten unsicher, was wir da eigentlich aufführten, andere lächelten. Aber das Wunderbare war, dass sie alle hochgespannt und aufmerksam waren und uns zuhörten. Keiner gähnte, keinem flatterten die Augenlider. “A benefit for me is that I can apply for many different jobs and exchange knowledge with people from other countries. Everything gets easier. I have friends living in Canada and Germany and today I them well, because we can have conversations.”

Hinter mir hörte ich leises Murmeln. Als ich mich umdrehte, sah ich den Vizepräsidenten eine Unterhaltung mit dem Mönch führen. Offensichtlich war er an unserer Darbietung nicht besonders interessiert. Sein Verhalten hätte mich auf der Stelle explodieren lassen können, aber ich dachte noch: „Es ist für die Schüler. Es ist für Bunrith und für mich. Was macht es schon, wenn du uns nicht zuhörst?“ Streng genommen machte es natürlich schon etwas, fehlende Wertschätzung durch den Vizepräsidenten ist…ja, was? Ein bisschen uncool vielleicht? Bunrith war zum letzten Teil der Rede gekommen, den Tipps von Lehrern an die Schüler. Nachdem ich ins Mikrofon gesagt hatte, dass sich die Schüler das Fehlermachen stets gestatten sollten, da es Teil des Lernprozesses ist, setzte mein Kollege zum letzten und wichtigsten Absatz an: “…and please, please never give up trying. It´s worth it. You can do it. I did it and you can do it, too!“

Schweigen. Hinter uns redeten der Vizepräsident und der Mönch noch immer, aber vor uns saßen 40 Schüler und hörten dem Moment der Stille nach der Rede zu. Und ich hoffte, sie würden nicht nur mit Ohren, sondern mit Augen, Hirn und Herz hören. Ich hoffte, sie würden verstehen, dass ein „Gemeinsam“ existieren kann, dass man nicht perfekt Englisch sprechen muss, um sich in Unterhaltungen zu trauen, dass ich und all die anderen Fremden aus fernen Ländern mehr mit ihnen zu teilen hatten, als dieselbe Spezies und dass ein Hand-in-Hand funktionieren kann.

Dann begannen sie zu klatschen. Es war kein rauschender Applaus von plötzlich erleuchteten Menschen, das hatte ich auch nicht erwartet. Es war das unsichere, aber höfliche Klatschen eines Publikums, welches sich noch nicht sicher ist, ob ihm gefällt, was es gehört hatte. Ich aber war zufrieden damit. Ein unsicheres Publikum ist eines, das nachdenkt. Und genau das hatte ich mir gewünscht. Bunrith strahlte mich an und ich strahlte zurück.

Als wir am Ende der Veranstaltung im Foyer über einem großen Teller Bohnenküchlein saßen, fragte ich ihn, ob er glaube, wir hätten die Sache gut gemacht. Er angelte sich ein Küchlein von der Platte, stopfte es sich in den Mund und lachte gleichzeitig: “It was so different, but I think, we did it very well!“

Und dann sagte er noch: „Isa, I am so happy to work with you.“

With. Mit.

Ich auch, Buntith, ich auch.

 

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Lachender Junge

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