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Zukunft der EU-Flüchtlingspolitik: Aus den Augen, aus dem Sinn

Über das Thema „Jenseits der Abschottung" diskutierten fünf Männer aus Politik und Zivilgesellschaft zum Abschluss der Fachtagung zur Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU. Brot für die Welt bietet hier eine Zusammenfassung der Diskussion.

 

Von Ehemalige Mitarbeitende am

Sehnsucht nach „Weltinnenpolitik"

Über das Thema „Jenseits der Abschottung" diskutierten am Dienstag fünf  Männer zum Abschluss der Fachtagung zur Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU im Haus von Brot für die Welt. Unter der Moderation von Bernd Pickert, taz, debattierten Thomas Gebauer, medico international, Günter Burkhardt, Pro Asyl, Reinhard Palm, Brot für die Welt und Dr. Götz Schmidt-Bremme, Beauftragter für den Rechts- und Konsularbereich des Auswärtigen Amtes einschließlich Migrationsfragen.

Vorkriegsstimmung?

Den Weg aus der aktuellen Flüchtlingskrise sieht Günter Burkhardt in einem Dreiklang. Man müsse sich als Europa unbedingt aus den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens militärisch raushalten. Man müsse Wege für Flüchtlinge öffnen, es könne nicht sein, dass die Türkei auf der einen Seite gebeten werde, die Grenzen offen zu halten und auf der anderen Seite dicht zu machen. Seine Aussicht war pessimistisch. Er fühle eine Art Vorkriegsstimmung: religiös  aufgeladen und nationalistisch. Wenn Europa in der Flüchtlingsfrage scheitere, gerate nicht nur die Ökonomie in Gefahr, sondern auch Demokratie und Menschenrechte. Thomas Gebauer sieht in der Umverteilung von unten nach oben einen wesentlichen Grund für die Fluchtbewegungen. Er gehe immer vom Ziel aus: das Recht zu bleiben beinhaltet das Recht zu gehen. Aber das Recht zu bleiben ist vielerorts massiv bedroht.

Positiv erlebt er die Willkommenskultur als Stärke der Zivilgesellschaft. Die Mehrheit der Deutschen sei nicht Pegida, obwohl die Darstellung in den Medien ein anderes Bild vermittele. Aber für ihn sei es ein „kohärentes Versagen", wenn etwa Frau Merkel nur auf Sicht fahre und die Politik nur eine Stabilisierung des Augenblicks sei. Thomas Gebauer erinnerte daran, dass die reichen Staaten auf dem Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba gerade erst die wirksame Bekämpfung von Steuerflucht verhindert hätten. Man habe nicht aus Deregulierung und Privatisierung gelernt. Er sah auch die „wunderschöne Idee der SDGs“ zum Scheitern verurteilt, weil im Kleingedruckten die Finanzierung so geregelt sei, dass keine Umverteilung stattfindet.

Keine „Weltinnenpolitik“

Reinhard Palm wies auf Chance und Risiken hin, dadurch dass Entwicklungszusammenarbeit mehr Konjunktur bekomme. Alle riefen nach mehr EZ zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Aber es gebe oft nicht mehr Mittel, sondern nur eine Verschiebung der Titel von langfristiger EZ hin zu kurzfristigen Angeboten. Die folgten eher einer Abschottungslogik als einer „Weltinnenpolitik“. Die EZ stehe unter Legitimationsdruck, weil sie beweisen müsse, dass Fluchtursachenbekämpfung kurz- und langfristig funktioniere.

Reinhard Palm erklärte, als die Flüchtlinge kamen, habe die Zivilgesellschaft das Staatsversagen aufgefangen. Er berichtete aus Kamerun, wo Brot-für-die-Welt-Partner verhindert hätten, dass Flüchtlinge aus Nigeria zurückgeschickt werden. Warum funktioniert Bürokratie so gut bei der Abschottung, aber nicht  bei der Aufnahme, fragte er.

Beten für Merkel und Steinmeier

Götz Schmidt-Bremme aus dem Auswärtigen Amt verwies darauf, dass es sehr wohl Aufgabe sei, diese Bundesregierung zu retten und er bat die Anwesenden, Merkel und Steinmeier in die „abendlichen Gebete“ einzuschließen.

Würde man sich als Deutschland am Durchschnitt der europäischen Politik orientieren, könne man davon ausgehen, dass Kanzlerin Merkel ihre Politik längst hätte ändern müssen. Es sei Glück im Unglück, dass es in Deutschland „nur“ die AfD gebe mit ihrem „Blut-und-Boden-Geschwafel“ und keine medientauglichen rechtspopulistischen Demagogen.

Klartext mit europäischen Nachbarn reden

Günter Burkhardt beklagte, dass in der EU negative Bilder von Flüchtlingen dominierten. Er rief dazu auf, dem am Internationalen Flüchtlingstag etwas öffentlich Sichtbares entgegenzusetzen. Der Konflikt sei lösbar, es werde jedoch länger dauern und man müsse der Bevölkerung reinen Wein einschenken. Burkhardt sprach sich dafür aus, mit den europäischen Nachbarn, für die Europa keine Wertegemeinschaft sei, Klartext zu reden.

„Wilhelminische Hochnäsigkeit“

 Götz Schmidt-Bremme erkannte in diesem Vorschlag etwas „sehr Deutsches“ und ein „gewisses moralisches Sendungsbewusstsein“ und sprach sogar von „wilhelminischer Hochnäsigkeit“. Er plädierte statt dessen für mehr privates Engagement und rief auf, Patenschaften für Flüchtlingsfamilien zu übernehmen.

Er erklärte, dass in der deutschen Gesellschaft noch nicht angekommen sei, dass wir uns im „Krisenmodus“ befänden. In Deutschland gebe es derzeit nicht genügend Sprachlehrer für Deutsch und auch nicht genügend Sozialwohnungen. Er appellierte, auf einen gesellschaftlichen Konsens hinzuarbeiten.

Rechtsstaatlichkeit in Niger?

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum ging es u.a. um die Maßnahmen der EU, Flüchtlinge davon abzuhalten nach Europa zu kommen. Götz Schmidt-Bremme rechtfertigte die Zusammenarbeit mit der Polizei im Niger, es werde versucht, „unsere Vorstellung des Umgangs mit Gewalt“ und Rechtsstaatlichkeit zu vermitteln. Man hoffe etwa, dass die Polizei in Niger die zur Verfügung gestellten Wagen nicht nur zur Verfolgung, sondern auch zur Rettung von Flüchtlingen nutze.

Schlussrunde

Günter Burkhardt hält es für eine Illusion, dass es 2016 weniger Flüchtlinge kommen. Er forderte, endlich Wege zu schaffen, damit Menschen legal kommen können. Es gebe keine einfachen Lösungen, aber an den Menschenrechten zu schrauben wie aktuell, gehe immer nach hinten los.

Reinhard Palm fragte, was mit den 1,8 Milliarden Euro aus dem EU Africa Trust Fund-geschehe und was die Regierung beispielsweise mit Eritrea plane. Dr. Schmidt-Bremme sprach sich gegen polizeiliche Zusammenarbeit mit Eritrea aus, mit Saudi Arabien sei es ein „Balanceakt“. Er selber sei Befürworter von Migration, schon weil Deutschland mehr Menschen brauche. Er sei für Kontingente und für den Vorrang des Familiennachzugs. Außerdem seien Heimatüberweisungen viermal höher als die Mittel der EZ.

Afrika nicht vergessen

Reinhard Palm erinnerte daran, dass Sudan und Äthiopien viele Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Er forderte, die langfristige Entwicklungszusammenarbeit nicht aufzugeben, man dürfe Afrika nicht wegen Syrien vergessen, sonst würden diese Regionen destabilisiert.

Fluchtursachen sind wir selbst

Thomas Gebauer erklärte, der Bedarf an Humanitärer Hilfe überschreite die Mittel des Auswärtigen Amtes und anderer bei weitem. Wir müssten endlich eine Situation schaffen, die diese Mittel nicht mehr nötig machten. Fluchtursachen: das seien wir selbst, unser Leben sei zerstörerische Entwicklung. Flucht sei die Kehrseite unserer Art zu leben.

Als praktisches Beispiel, wo man beginnen könnte, nannte er das Freihandelsabkommen TTIP. Hier könnte die Politik einlenken und sagen: Wir machen es nicht. Das hätte auch demokratietheoretischen Erfolg.

Mehr Mut

Moderator Bernd Pickert von der taz schloss mit einem Appell zu mehr Mut und sagte, es sollte eigentlich keinen Mut erfordern, sondern etwas Selbstverständliches sein, geschriebenes Recht (gemeint Asylrecht) einzufordern. Er fragte, warum wir es nicht hinkriegen, dass die, die ein abgeschottetes Europa für die Lösung halten, sich rechtfertigen müssen. Das sei eine Aufgabe für Medien, NGOs, aber auch die Politik.

 

 

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