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Cheerleader der Standardprogramme

Eindrücke von verschiedenen Tagungen in Genf zu „Freiwilligen Nachhaltigkeitsstandards“ im Lebensmittelbereich.

Von Ehemalige Mitarbeitende am

Im Auftrag von Brot für die Welt habe ich an der Tagung „Trade for Sustainable Development“ 25./26. Sep. 2017 bei dem ITC (International Trade Center) in Genf teilgenommen, und am 27./28.9. an dem Public Forum der WTO. Bei beiden Veranstaltungen standen Vorträge und Diskussionen über die privaten Nachhaltigkeitsstandards (VSS=Voluntary Sustainability Standards) mit im Mittelpunkt. Hohe Erwartungen werden auf Seiten der Befürworter des freien Welthandels an dieses wirtschaftspolitische Instrument gestellt, denn diese freiwilligen Initiativen der Wirtschaft versprechen einen Lösungsweg, wie man die SDGs (Nachhaltigkeitsziele der UN) mit Handelspolitik WTO-konform verwirklichen kann; Ethik und Handel sollen hierdurch zusammen kommen.

Keine kritische Auseinandersetzung über Wirkung der Standards

Leider stellte sich bei mir der Eindruck heraus, dass es sich um Versammlungen von „Cheerleaders“ der VSS handelt. Es ging nicht – wie ich erwartet habe – um eine kritische Auseinandersetzung, was die VSS wirklich bewirken, obschon es allein im Agrar- und Ernährungsbereich global schon 450 dieser Standards gibt. Es ging nur um die Effizienzsteigerung des Systems, wie z.B. bessere Datenflüsse, Software Programme, Transparenz, Qualitätsprüfung, Training, Finanzierungsinstrumente, Vertrauensbildung. Ob das ganze System in die richtige Richtung läuft, die intendierten Wirkungen erzielt werden, alle Akteure miteinbezieht, lokale Anpassung ermöglicht, Mitbestimmung von Regierungen und Produzenten erlaubt, wer das Sagen hat und wie die Lasten und Erträge verteilt sind unter den Beteiligten, all das und noch viel mehr spielte überhaupt keine Rolle.

Immerhin, die VSS wurden von den Handelsexperten nicht mehr kritische als „technische Handelshemmnisse“ abgetan. Das ist ein gewisser Fortschritt. Aber das Pendel ist zu weit in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Die Fortschritte, die zum Beispiel das WTO-Vertragswerk bietet, wie z.B. in Bezug auf globale Rechtsstaatlichkeit, kooperative globale Regelsetzung, Einspruchsmöglichkeiten und Nichtdiskriminierungsregeln werden gar nicht mehr angemahnt. So wie vorher die unbekümmerte Euphorie über den freien Welthandel, herrscht jetzt eine Euphorie über VSS vor.

Zweifelhafte Annahmen werden nicht hinterfragt

Ulrich Hoffmann, kritischer UN-Beobachter des Geschehens, vergleicht die VSS-Begeisterung mit Autoverkäufern, die die tollen Möglichkeiten eines Oberklassewagens anpreisen, ohne sich so recht zu fragen, ob sich die Nutzer/Käufer das Auto überhaupt leisten können; und ob die Luxuskarossen für die Straßenverhältnisse in der Wüste oder im Regenwald überhaupt tauglich sind.

Es werden unhinterfragt Annahmen gemacht, die allesamt zweifelhaft sind:

  1. Die Märkte für zertifizierte Ware wachsen schnell und ins Unendliche.
  2. Nachhaltige Landwirtschaft lässt sich global in objektive Kriterien gießen.
  3. Die Bauern auf der Welt müssen durch die Macht der Aufkäufer in eine Nachhaltigkeit hineingezwungen werden; vor und ohne die globalen Standards gab es keine Nachhaltigkeit.
  4. Die Integration von Bauern in globale Liefer- und Wertschöpfungsketten ist der Ausgangspunkt für jegliche Entwicklung. 
  5. Lukrative Märkte gibt es nur im Export.
  6. VSS werden getrieben von dem Wunsch, SDGs umzusetzen (und nicht von der Agenda der internationalen Kapital- und Handelsgesellschaften).

Eine höchst interessante Entwicklung ist die Entstehung von nationalen Dialogplattformen in einigen Schwellenländern, wie China, Indien, Brasilien; Mexiko, S.A.R. und Indonesien ziehen nach. Regierungen in postkolonialen Ländern übernehmen selbst die Regulierung der Nachhaltigkeit, und überlassen es nicht der Privatregulierung durch die internationalen Supermarktketten. Dieser Ansatz ist angeschoben durch das UNFSS und unterstützt durch ein „Forschungsprojekt“ in 5 Ländern des DIE.  Doch selbst dieser – ich würde sagen - sensationelle „Quantensprung“ in der Standardentwicklung wurde nicht wirklich als ein solcher besprochen. Dabei können dadurch mehrere Dogmen überwunden werden:

  1. Die koloniale Dichotomie in Standardnehmer – im Süden der Erde – und Standardsetzer – im Norden – wird herausgefordert.
  2. Die nationale Entscheidungssouveränität der Schwellenländer tritt an die Stelle des vorherrschenden Value-Chain Paradigmas.
  3. Es entsteht die Chance, die Nachhaltigkeitsziele nicht nur betriebswirtschaftlich zu definieren, sondern auch in Bezug auf die ganze Gesellschaft.
  4. Die Dualität der Märkte kommt ins Spiel, denn nationale Regierungen müssen ein Gleichgewicht finden zwischen Agrarexporten und der Binnenmarktversorgung; die Standards, die für den Binnenmarkt nötig sind, sind nicht die Oberklassenmodelle, sondern robuste, bodenständige und angepasste Modelle an die örtlichen Gegebenheiten. VSS könnten in schlüssige, partizipatorische und abgestimmte Politikpakete eingebunden werden. Ob die neu gegründeten nationalen Dialogforen aber wirklich diese Koordinierungsfunktion übernehmen werden, ist noch völlig offen.

Private Nachhaltigkeitsstandards sind Geschäftsmodelle

Immer wieder wird bei der Einschätzung von VSS übersehen, dass sie ein Geschäftsmodell von Firmen oder Branchen sind, verbunden mit bestimmten Gewinnerwartungen. Sie sind nicht das, was sie vorgeben: altruistisch getrieben. Sehr ernüchternd waren mehrere ZDF-Sendungen von Planet E, zum Beispiel über Plantagen in Costa Rica oder Assam, die Fair Trade und bio zertifizierte Ananas bzw. Tee produzieren, sogar dreifach von UTZ, Rainforest Alliance und FairTrade gelabelt waren. Sie zeigten massive Verstöße gegen die Kriterien der Standards auf, wie hohe Pestizidbelastungen, katastrophale Armuts- und Lebensverhältnisse der Arbeiter, Sprühen ohne Schutzkleidung. Die Manager, zur Sprache gestellt, taten verwundert: Die Labels seien doch nichts als Marketing-Instrumente. Haben hier Journalisten nur Einzelfälle von „schwarzen Schafen“ einer Bewegung ausgegraben, oder ist mit Betrug flächendeckend zu rechnen? Nachhaltigkeit ist entweder ein umfassendes Managementmodell für alle Betriebsabläufe, und ein Gesellschaftsmodell für die gesamte Volkswirtschaft, oder es ist Makulatur. Davon sind VSS noch weit weg.

 

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