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Fatale Folgen

Über den Einfluss der EU-Direktzahlungen auf die Preisbildung von Agrarprodukten und die Gestaltung von Agrarpolitiken in den Ländern Afrikas

von Stig Tanzmann

Von Stig Tanzmann am

Agrarökologischer Gemüseanbau in der Nähe von Florenz

Die Direktzahlungen der EU im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) richten sich primär an die Landwirte innerhalb der EU. In einer zunehmend globalisierten Wirtschaft bleiben sie jedoch nicht folgenlos auch für Märkte außerhalb Europas. Dies zeigt der folgende Beitrag am Beispiel Afrikas. Ziel ist dabei nicht eine ökonomische Analyse, wie die Direktzahlungen der EU die Preisbildung von Agrarprodukten in Afrika beeinflussen. Vielmehr geht es dem Autor darum, den strukturellen Einfluss der EU-Direktzahlungen auf die Gestaltung von Agrarpolitiken und Agrarprogrammen sowie auf die Preisbildung von Agrarprodukten in Afrika aufzuzeigen. Die europäische Agrarpolitik steht mit ihrem Einfluss natürlich nicht alleine; auch andere Agrarpolitiken, die die Nahrungsmittelproduktion in Richtung Weltmarkt trimmen – allen voran die Politik der Welthandelsorganisation (WTO) – spielen hier eine Rolle. Doch wegen der großen geografischen Nähe, der vielfältigen Handelsverbindungen und dem Fokus in der deutschen und europäischen Entwicklungszusammenarbeit auf Afrika ist die EU-Agrarpolitik von besonderer Bedeutung für die Länder Afrikas und steht daher auch im Fokus dieses Artikels.

Historisch stehen die Direktzahlungen, also die Flächenprämien der EU, in engem Zusammenhang mit dem Ziel und der Notwendigkeit, die GAP mit dem Agrarabkommen der WTO konform zu gestalten. Das WTO Agrarabkommen gründet auf der Uruguay-Verhandlungsrunde (1986 bis 1994) des GATT-Vertrages und verlangt die Entkoppelung der Agrarsubventionen von der direkten Produktion.1 Mit den 2003 von der EU beschlossenen und 2005 in Deutschland eingeführten, an die Fläche gebundenen Direktzahlungen wollte die EU das WTO-Agrarabkommen besser umsetzten als in den Reformschritten zuvor und gleichzeitig das Unterstützungsniveau in der Landwirtschaft hochhalten und den eigenen Exportanteil am Weltagrarhandel halten oder ausbauen. Bei der WTO-konformen Umgestaltung der GAP ging es der EU sehr stark und maßgeblich um die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Orientierung am Weltmarktpreis der einzelnen Agrarprodukte.

Exportsubventionen und die Eroberung neuer Märkte

Ein nicht unbedeutender Teil der EU-Agrarexportmärkte wurde bereits vor der Umgestaltung der GAP mit vielen Milliarden Euro an Exportsubventionen erobert. Insbesondere die Weizenüberschüsse der EU wurden in den 1980er- bis Anfang der 1990-Jahre im Export umfangreich subventioniert und senkten den Weltmarktpreis von Weizen. Im Jahr 1993 wurden allein für den Getreideexport Exportsubventionen von 2,5 Milliarden Euro gezahlt. Auch die Preise anderer kalorienreicher Grundnahrungsmittel gerieten unter Druck. In der Folge der EU-Exportsubventionspolitik wurde es für viele, insbesondere afrikanische Staaten, in den 1980er- und 1990er-Jahren attraktiv, große Mengen Weizen aus der EU zu importieren. Denn der Weizen war so billig, dass dieser trotz der Importzölle, mit denen sich die afrikanischen Staaten Devisen verschafften, billiger war als lokale Grundnahrungsmittel. Dies setzte die lokale Grundnahrungsproduktion, insbesondere in Afrika, unter starken Preisdruck. Viele Bäuerinnen und Bauern, die Hirse, Reis und andere Grundnahrungsmittel anbauten, waren der Konkurrenz durch den subventionierten europäischen Weizen nicht gewachsen.

Diese Situation wurde zusätzlich dadurch verschärft, dass die afrikanischen Agrarpolitiken und Agrarprogramme im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme, die den überschuldeten afrikanischen Ländern in den 1980er-Jahren auferlegt waren, drastisch gekürzt wurden. Viele afrikanische Bäuerinnen und Bauern fanden sich so in einer Situation wieder, dass sie einerseits mit stark subventionierten Produkten aus dem Ausland konkurrieren mussten, andererseits aber selbst teilweise über Jahrzehnte keinerlei Unterstützung von ihrem Staat erhielten.

Diese Lage verfestigte sich durch die Gründung der WTO im Jahr 1994. Zwar wurden die Exportsubventionen der EU abgebaut und auf null gesetzt, dafür wurde aber der Agrarhandel liberalisiert. Dadurch wurde es für die afrikanischen Länder schwieriger, starke Zölle auf Agrarprodukte durchzusetzen. Gleichzeitig waren viele afrikanische Staaten nun abhängig (geworden) von Weizenimporten und hatten keine Mittel, die eigene Agrarproduktion stärker anzukurbeln.

Der Weltmarktpreis für Grundnahrungsmittel wie Weizen verfestigte sich in den folgenden Jahren als Richtschnur vor allem für Agrarpolitiken und Agrarprogramme, wenn sie in der Praxis erfolgreich sein wollten. Im Rahmen der WTO nicht mehr durchsetzbar war ein starker Außenschutz, der die Produktion vor Ort abschirmt, um der lokalen, meist kleinbäuerlichen Landwirtschaft die Preise zu sichern, die notwendig wären, um eine gutes Einkommen zu generieren und dringend notwendige Investitionen zur Effizienz- und Produktionssteigerung zu tätigen. Dies bedeutet insbesondere bei der Versorgung großer Märkte wie den afrikanischen Metropolen, dass afrikanische Produzentinnen (meist sind es Frauen, die in der Landwirtschaft tätig sind) zu jeweiligen Weltmarktpreisen liefern müssen. Dies aber ohne ein System umfangreicher Agrarsubventionen, wie es in der EU und anderswo eingeführt wurde – eine fast unmögliche Aufgabe.

Weizenüberschüsse und die Externalisierung von Kosten

Eine der wichtigen Grundlagen für die exportierten Weizenüberschüsse sind die hohen Hektarerträge beim Weizenanbau in der EU. In Deutschland wurden in den letzten Jahren im Durchschnitt über 75 Dezitonnen pro Hektar geerntet: deutlich mehr als im Rest der Welt. Doch diese hohen Erträge sind nur möglich auf der Basis intensiver Düngung, insbesondere intensiver Stickstoffdüngung. Die Stickstoffdüngung wurde in den letzten Jahrzehnten in der EU stark ökonomisch optimiert. Kurz, es wird soviel Stickstoff eingesetzt, wie ökonomisch sinnvoll ist – aber auch nicht weniger.

Was in dieser ökonomischen Berechnung fehlt, sind die ökologischen Folgekosten dieser intensiven Stickstoffdüngung und der intensiven Bewirtschaftung der Weizenflächen auch mit Pestiziden. Grundsätzlich kann man dieses Produktionsmodell auf den Ansatz der Grünen Revolution zurückführen: also Produktion steigern durch erhöhten (ökonomisch maximierten) Einsatz von externen Produktionsmitteln wie Düngemitteln und Pestiziden, bei gleichzeitigem Ausklammern der ökologischen Folgekosten.

Diese Folgekosten der Grünen Revolution werden bisher externalisiert und müssen von der Gesellschaft getragen werden. Für die EU-Agrarpolitik bedeutet dies, dass sie sich – fast zwangsläufig – immer wieder in starkem Konflikt mit der EU-Umweltpolitik befindet und dass sie zunehmend auch von der Bevölkerung kritisiert wird, die die Folgekosten nicht mehr tragen will. Klare Problemfelder sind hierbei die Stickstoffüberschüsse, die Belastung des Grundwassers mit Nitrat und der Biodiversitätsverlust.

Würden die ökologischen Grenzen des Stickstoffeinsatzes in der Landwirtschaft in Deutschland und der EU eingehalten, würden die Erträge, insbesondere bei Weizen, sinken. Folgerichtig würden sich auch die Agrarpreise auf dem Weltmarkt erhöhen, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der afrikanischen Landwirtschaft steigern würde. Gleichzeitig würden für die intensiven Agrarsysteme endlich Anreize geschaffen, anders zu produzieren und sich vom Produktionsmodell der Grünen Revolution zu lösen.

Das agrarpolitische Dilemma Afrikas ...

Vor welchen Herausforderungen standen und stehen nun im Rahmen der WTO die afrikanischen Staaten bei der Gestaltung ihrer eigenen Agrarpolitiken, dem maßgeblichen Instrument, Agrarpreise zu beeinflussen? Mit der WTO setzte sich das Dogma des „Freihandels“ auch bei Agrarprodukten durch. Gerade für ökonomisch schwache Staaten ist es schwierig, die Spielräume bei Zöllen auszunutzen, die die WTO noch bietet. Der eigene Agrarsektor ist bereits durch massive Importkonkurrenz geschwächt und für eine Stützung der heimischen Landwirtschaft fehlen die Finanzen. Gleichzeitig konnten viele Industriestaaten, allen voran die EU und die USA, ihre umfangreichen Subventionsprogramme so umdefinieren, dass diese nun als „WTO-konform“ gelten, ohne dass jedoch eine Verringerung der Produktionsintensität einsetzte. Dies vor allem auch, weil die ökologischen Folgekosten der inputintensiven Produktionsmodelle dieser Staaten zu größten Teilen weiter externalisiert werden.

Für die afrikanischen Staaten bedeutet dies, dass sie kaum noch eine Chance haben für einen effektiven Außenschutz von Agrarprodukten, insbesondere bei Grundnahrungsmitteln. Eine Reduktion des Agrarsubventionsniveaus der EU und der USA ist nicht zu erwarten; ebenso wenig eine Internalisierung der ökologischen Folgekosten des Produktionsmodells der Grünen Revolution. Afrikanische Bäuerinnen und Bauern werden mit ihren begrenzten Ressourcen daher auch weiterhin zu Weltmarktpreisen produzieren müssen, wenn sie die größeren Binnenmärkte erreichen wollen. Der einzige, jedoch fatale Ausweg, um an Ernährungssouveränität zu gewinnen, scheint darin zu bestehen, möglichst schnell die Erträge und die Produktivität zu steigern und die ökologischen und sozialen Folgekosten noch stärker zu vernachlässigen als die EU.

... und der Neustart afrikanischer Agrarpolitiken

Erst mit der Erklärung von Maputo im Jahr 20032 wagten die afrikanischen Staaten im Rahmen der Afrikanischen Union eine Art Neustart oder Wiederbelebung der eigenen Agrarpolitik. Dieser Neustart löste sich immerhin von den Dogmen der Strukturanpassungsprogramme. Um den Hunger zu überwinden und die Importabhängigkeit von Grundnahrungsmitteln zu reduzieren, verpflichteten sich die afrikanischen Staatschefs, die Agrarbudgets wieder stark anzuheben. Zielmarke sind zehn Prozent der Staatsausgaben für den Agrarsektor. Diese Ziele im Agrarbereich wurden 2014 mit der Erklärung von Malabo noch einmal bekräftigt und spezifiziert.3 Aber nur wenigen Staaten gelang es, ihre Agrarbudgets wirklich signifikant zu steigern, geschweige denn die Zehn-Prozent-Marke zu erreichen. Aber über diese Selbstverpflichtung zu mehr Engagement ist zumindest die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft und bäuerlicher Organisationen mit Blick auf afrikanische Agrarpolitiken wieder gestiegen. Bei vielen afrikanischen Organisationen ist die Einsicht gewachsen, dass es wichtig ist, erst einmal die eigene Regierung in die Verantwortung zu nehmen und zu analysieren, wohin die vorhandenen, wenn auch stark begrenzten Mittel der staatlichen Agrarpolitik fließen. Nur so lassen sich dann auch die großen und problematischen externen Agrarentwicklungsprogramme kritisieren.

Wenige Jahre nach dem Ausrufen der Maputo-Erklärung startete 2006 mit AGRA (Alliance for a Green Revolution in Africa) eine von philanthropischen Gebern wie der Bill & Melinda Gates Foundation und der Rockefeller Foundation gegründete Organisation mit dem Ziel, die Agrarproduktion in Afrika zu revitalisieren und zu modernisieren. Das Programm von AGRA basiert, wie der Name schon sagt, auf der Grünen Revolution. Deutliche Zeichen, wo die Reise mit AGRA hingehen soll, sind zum einen die Tatsache, dass AGRA 20 Millionen US-Dollar für den Aufbau des Lobbyverbandes African Fertilizer and Agribusiness Partnership bereitstellte, und zum anderen, dass AGRA die Saatgutkomponente zur Formalisierung der afrikanischen Saatgutmärkte im Sinne von UPOV914 umsetzte. Sie stammt von der vielfach kritisierten Neuen Allianz für Ernährungssicherung in Afrika (New Alliance for Food Security and Nutrition – G8NA), die 2012 auf dem G8-Gipfel in Camp David gegründet wurde. Der Saatgutsektor in Afrika ist noch zu 70 bis 80 Prozent informell organisiert, kurz Tausch und Nachbau sind essenzielle Quellen für Saatgut. Diese Praktiken werden mit der Einführung strenger Saatgutgesetze und Sortenschutz auf Basis von UPOV91 massiv eingeschränkt oder in die Illegalität gedrängt. Bestehende bäuerliche Saatgutsysteme werden nicht etwa verbessert, sondern zugunsten von Saatgutkonzernen geschwächt.

Aber AGRA hat es sehr erfolgreich geschafft, weitere Aufmerksamkeit auf den Agrarsektor in Afrika zu legen und leider Agrarpolitiken im Sinne ihrer Grünen Revolutionsziele zu beeinflussen. Dies drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass viele Staaten im Rahmen von Farm-Input-Subsidy-Programmen (FISP) für die Grüne Revolution essenzielle Inputs, wie chemischen Dünger und Hybridsaatgut, subventionieren und sich immer mehr um Großinvestitionen von Agrarkonzernen bemühen und dafür auch in nicht geringem Maße externe Gelder einwerben. Auch gelang es AGRA, sich immer mehr zu „afrikanisieren“: Immer mehr afrikanische Regierungen und Institutionen begeistern sich für die Konzepte von AGRA. Diese Leistung muss man bei aller notwendigen Kritik am vertretenen Agrarmodell anerkennen.

Afrikanische Agrarpolitiken und der Druck des Weltmarktpreises

Grundsätzlich ist zu beobachten, dass die afrikanischen Staaten aus verschiedenen Gründen einen starken Druck verspüren, ihre eigene landwirtschaftliche Produktion auf die Erreichung der Weltmarktpreise auszurichten. Einerseits geht dieser Druck, wie oben dargelegt, stark von der WTO und exportorientierter Agrarpolitiken wie der GAP aus; andererseits muss es Ziel jeder afrikanischen Regierung sein, die eigene, meist arme Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, die so preisgünstig sind wie möglich. Hier treten jedoch deutliche Zielkonflikte zutage: Denn in vielen afrikanischen Staaten lebt noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land; in nicht wenigen Staaten ist der kleinteilig strukturierte Agrarbereich der Beschäftigungssektor schlechthin und für die Einnahme der meisten Devisen verantwortlich. Aber nach über 30 Jahren der Vernachlässigung, die sich fast nahtlos an die koloniale Ausbeutung des ländlichen Raumes anschließen, ist dieser Agrarsektor nicht wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt.

Was diesen Agrarsektor aber auszeichnet, ist die Tatsache, dass er bislang mit sehr wenig externem Input zurechtkommt (und kommen muss). Der Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden ist noch verhältnismäßig gering, gleichzeitig bestehen auch noch traditionelle Saatgutsysteme. Dies sind gute Voraussetzungen, auf die man mit einer agrarökologischen Intensivierung aufbauen könnte, mit deren Hilfe – bei Erhalt der bäuerlichen Unabhängigkeit – die Erträge stark zu steigern wären. Eine solche agrarökologische Intensivierung ist dringend erforderlich, denn viele der heutigen bäuerlichen Anbausysteme in Afrika wirtschaften ineffizient und sind nicht optimal – nicht zuletzt, weil sie bereits zu stark an den Ideen der Grünen Revolution ausgerichtet sind, ohne jedoch den Zugang zu den benötigten Inputs zu haben.

Gleichzeitig würde eine agrarökologische Intensivierung bedeuten, gegen den Strom der internationalen Agrarpolitikausrichtung, besonders im finanzstarken und entwicklungshilfegebenden Norden zu schwimmen. Man würde dabei auf einen Lösungsweg setzen, der vor allem langfristige Wirkungen entfalten würde. Aber es wäre ein Ansatz, der bei der Mehrheit der eigenen Bevölkerung ansetzen könnte.

Doch die afrikanischen Regierungen scheinen sich eher für den schnellen Sprung nach vorne auf der Basis der Grünen Revolution, Landkonzentration und ausländischer Investoren entschieden zu haben. Diese Dreierkombination soll die afrikanische Agrarproduktion auch ohne Zölle wettbewerbsfähig machen, aber eben auf Kosten eines großen Teils der kleinbäuerlichen Familien. Deutliche Zeichen dafür sind, dass immer wieder neue „Wachstumskorridore“, wie der vielfach kritisierte SAGCOT-Korridor in Tansania,5 ausgerufen wurden und die afrikanischen Politiker sich verstärkt Initiativen wie der neuen G8-Allianz angeschlossen haben. Neueste Vision in diesem Zusammenhang sind milliardenschwere Investitionen in sog. staple crops processing zones across Africa durch die Afrikanische Entwicklungsbank. Auf Gunststandorten soll die großflächige Produktion von kalorienhaltigen Grundnahrungsmitteln (Mais, Reis Cassava) mit anschließender industrieller Verarbeitung gefördert werden.6 Hier besteht klar die Gefahr, dass es zu großflächigem Landgrabbing kommen kann und vor allem Nahrungsmittelkonzerne oder multinationale Agrarhandelskonzerne profitieren.

Neuer Blick auf afrikanische Agrarpolitik

Das African Center for Biodiversity (ACB) startete 2016 eine Übersichtsstudie zu Agrarpolitiken und Farm-Input-Subsidy-Programmen (FISP) im südlichen Afrika.7 Die Studie ist in die umfangreiche Arbeit von ACB zur Kritik der Grünen Revolution in Afrika einzuordnen. Anhand der Studie wird deutlich, dass die meisten Agrarpolitiken im südlichen Afrika auf FISP als zentrales Förderelement setzen. Mit den FISP werden vor allem synthetischer Dünger und Hybridsaatgut (mit Schwerpunkt auf Mais) gefördert: Inputs, die sehr gut in die Logik der Grünen Revolution passen und versprechen, die Erträge zumindest kurzfristig zu steigern.

Die Kritik des ACB an diesen Programmen macht aber auch deutlich, dass von diesen Subventionssystemen vor allem die großen Düngemittelkonzerne und Saatgutkonzerne profitieren, denn der Absatz ihrer Produkte steigt und immer mehr Bäuerinnen und Bauern werden an ihre Geschäftsmodelle herangeführt. Gleichzeitig wird so aber nicht deren Unabhängigkeit gefördert, denn die meisten von ihnen sind ohne Subventionen nicht in der Lage, diese Inputs dauerhaft zu erwerben. Es drohen Abhängigkeit und Verschuldung, die zu dauerhaftem Einkommensverlust und im schlimmsten Fall zu Landverlust führen können. Vor allem größere und besser gestellte Betriebe profitieren mittel- und vielleicht auch langfristig von diesem FISP-System.

Daher werfen zusammen mit ACB einige Kleinbauernorganisationen, Landfrauen und andere NGOs vermehrt die Frage auf, wieso mit dem knappen Geld der afrikanischen Staaten nicht die Ansätze gefördert werden, die sich 40 Jahre auf dem Land behauptet und verfestigt haben und die nicht auf externe Betriebsmittel angewiesen sind.8 Diese Ansätze, die am besten mit dem Begriff „Agrarökologie“ zu fassen sind, würden enorm von einer verbesserten Agrarberatung, Agrarausbildung und einer weniger diskriminierenden Gesetzeslage profitieren. Dies sind alles Dinge, die man auch mit den geringen finanziellen Mitteln der afrikanischen Agrarpolitiken gut fördern könnte und die vor allem die Unabhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern stärken würde.

Es ist eine sehr beachtenswerte kritische Agrarbewegung, die zurzeit in Afrika im Entstehen ist.9 Denn sie kritisiert nicht mehr nur die Exporte und Entwicklungsprogramme des Nordens, sondern fordert auch die eigene afrikanische Agrarpolitik mit all ihren Fehlern und Widersprüchen heraus. Nimmt man diese Bewegung ernst und will sie unterstützen, wird man auch den eigenen europäischen Blick auf die GAP und die Flächenprämie nachschärfen müssen. Es wird in Zukunft nicht nur von Bedeutung sein, darauf zu schauen, was die EU-Agrarexporte in den Ländern Afrikas verursachen; die Debatte zur hiesigen Agrarpolitik bietet auch umgekehrt Anknüpfungspunkte und Inspirationen für die Diskussion in Afrika oder anderen Kontinenten. Bisher wurde die Debatte über Agrarpolitiken, in Richtung Länder des Südens oder aus den Ländern des Südens, vor allem aus der Perspektive von Exporten und Importen geführt. Dies sollte sich angesichts der Bedeutung des afrikanischen Kontinents für Europa und angesichts der Herausforderungen an die Agrarpolitik, die mit den EU-Entwicklungszielen verbunden sind (siehe Kasten), dringend und schnell ändern.

Flächenprämie – kein Vorbild für Afrika

Gerade angesichts des wachsenden Widerstands und der zunehmenden Kritik, dass die afrikanischen Agrarpolitiken an den Interessen der Bäuerinnen und Bauern vorbeigehen, wäre es für Afrika wichtig, sich auf Modelle oder Inspirationen aus anderen Ländern oder Kontinenten beziehen zu können. Die GAP mit ihrer Flächenprämie kann dies zurzeit jedoch nicht leisten. Im Gegenteil: Bereits für die EU hat die Flächenprämie keine Antwort darauf, wie kleine Betriebe unter 20 Hektar erfolgreich in der Produktion gehalten werden können. Nicht zu sprechen von den Kleinstbetrieben unter vier Hektar, wie sie noch z. B. in Rumänien, aber gerade auch in Afrika vorherrschen. Bisher benachteiligt die Flächenprämie solche Kleinstbetriebe national oder international systematisch, indem sie die Einkommensstützung danach bemisst, wie viel Fläche bewirtschaftet wird, und nur sehr gering die ökologischen und sozialen Folgekosten einer großflächigen Bewirtschaftung berücksichtigt.

Bisher leistet die Flächenprämie keinen positiven Beitrag zur globalen Agrarwende. Vielmehr setzt sie eher die Agrarpolitiken in anderen Ländern unter Druck, ebenfalls die Weltmarktorientierung (mit all ihren Verzerrungen mit Blick auf Preise, Ökologie und Soziales) zu erhalten bzw. herbeizuführen. Wer über eine Agrarwende für Afrika nachdenkt, der sollte zugleich das europäische Fördersystem mit seiner einseitigen Orientierung an der Fläche kritisch in den Blick nehmen.

Folgerungen & Forderungen

- Die GAP muss so reformiert werden, dass sie nicht andere Agrarpolitiken, die mit ihr im Agrarhandelswettbewerb stehen, in das Modell der Grünen Revolution und den landwirtschaftlichen Strukturwandel („Wachsen oder Weichen“) zwingt. Dies gilt insbesondere für die afrikanischen Agrarpolitiken.

- Ein Austausch zwischen Organisationen in Afrika und Europa, die zur Veränderung der jeweiligen Agrarpolitik hin zu mehr Ökologie und sozialer Gerechtigkeit arbeiten, ist aufzubauen.

- Die Auswirkungen der GAP auf die Länder des Südens müssen stärker im Kontext der internationalen Agrar- und Umweltdebatte berücksichtigt werden.

- Die Bundesregierung sollte sich aus der Förderung von Projekten wie Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (Alliance for a Green Revolution in Africa, AGRA) zurückziehen, weil deren Ansatz dem Konzept der Agrarökologie diametral entgegensteht.

- Die Bundesregierung sollte sich in ihrer internationalen Arbeit für eine Förderung von Agrarökologie einsetzen und die Gründung einer „Agrarökologischen Geber-Allianz“ vorantreiben. Sie setzt sich dafür ein, Entwicklungspolitik und Agrarpolitik der Europäischen Union im Sinne von Agrarökologie neu auszurichten.

- Das Prinzip der gemeinschaftlichen Wissenserarbeitung (co-creation of knowledge) als Basis sowohl für die Wissenschaft (farmer-led research) als auch in der landwirtschaftlichen und lebensmittelhandwerklichen Beratungsarbeit, beispielsweise durch bäuerliche Schulen für Agrarökologie oder horizontalem Wissensaustausch (farmer-to-farmer), sollte angewendet und durch die Bundesregierung gefördert werden.

Dieser Beitrag ist im Kritischen Agrarbericht 2019 mit dem Artikel "Was hat Ungleichheit mit Agrarpolitik zu tun?" von Stig Tanzmann erschienen.

Anmerkungen

1. WTO: A summary of the final act oft he Uruguay round (www.wto.org/english/docs_e/legal_e/ursum_e.htm#aAgreement).

2. AU 2003 Maputo declaration on agriculture and food security (www.nepad.org/publication/au-2003-maputo-declaration-agriculture-and-food-security).

3. Malabo declaration on accelerated agricultural growth and transformation for shared prosperity and improved livelihoods (https://au.int/sites/default/files/documents/31247-doc-malabo_declaration_2014_11_26.pdf).

4. UPOV ist die Abkürzung des Internationalen Verbandes zum Schutz von Pflanzenzüchtungen mit Sitz in Genf (Union internationale pour la protection des obtentions végétales). Ziel des Übereinkommens ist es, das Recht des geistigen Eigentums so fortzuentwickeln, dass Pflanzenzüchtungen geschützt und damit die Entwicklung neuer Pflanzensorten begünstigt werden. Das UPOV-Übereinkommen von 1991 stärkt die Rechte der Züchter und Züchterinnen drastisch – zulasten der Rechte der Bäuerinnen und Bauern. Denn unter UPOV-91 ist der Austausch von geschütztem Saatgut und Vermehrungsmaterial unter Landwirten und Landwirtinnen verboten. Ebenso ist der Nachbau mit Vermehrungsmaterial (z. B. Obstbäumen, Beeren, Gemüse) untersagt. Der Nachbau von Saatgut kann in beschränktem Maße von Mitgliedstaaten als Ausnahme bewilligt werden. In jedem Fall darf nur Saatgut nachgebaut werden, welches auf dem eigenen Hof vermehrt wurde. Dabei müssen aber stets die berechtigten Interessen des Züchters respektiert werden, was bedeutet, dass bei größeren Mengen eine Gebühr für den Nachbau erhoben wird (https://www.publiceye.ch/de/themen-hintergruende/landwirtschaftbiodiversitaet/saatgut/sortenschutz/).

5. H. Twomey, C. M. Schiavoni und B. Mongula: Allianz der Zäune. Großflächige Agrarinvestitionen in Tansania. Eine Analyse auf der Grundlage des Rechts auf Nahrung. Hrsg. von Misereor, Aachen 2015 (www.misereor.de/fileadmin/publikationen/studie-allianz-der-zaeune-kurzfassung-deutsch-2015.pdf). – Die Wachstumskorridor-Projekte, wie SAGCOT, gehen unter anderem mit der großflächigen Landvergabe an Großinvestoren einher, die dann die ansässigen Kleinbauern vertreiben. Zusätzlich wird häufig von den afrikanischen Staaten oder Gebern großzügig in Infrastruktur investiert, die vor allem der Agrarindustrie und der Agrarexportwirtschaft zugutekommt.

6. „African Development Bank president Adesina calls for technology transfers to farmers“. Press release of the African Develpomnet Bank Group, dated 6. August 2018 (www.afdb.org/en/news-and-events/african-development-bank-president-adesina-calls-for-technology-transfer-to-farmers-18399/).

7. The African Centre for Biodiversity (ACB): Farm Input Subsidy Programmes (FISPs): A benefit for, or the betrayal of, SADC’s small scale farmers? Johannesburg 2016 (www.acbio.org.za/sites/default/files/2016/07/Input-Subsidies-Report-ACBio.pdf).

8. The African Centre for Biodiversity (ACB): The future of smallholder farmer support in Tanzania: Where to after the National Agricultural Input Voucher System (NAIVS). Johannesburg 2018 (https://acbio.org.za/sites/default/files/documents/Report%20from%20SADC%20regional%20farmer%20speak%20out%20on%20FISPs.pdf).

9. Insbesondere AFSA (Alliance for Food Sovereignty in Africa) als Netzwerk der Netzwerke spielt hier eine führende Rolle (https://afsafrica.org/).

 

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